Wir veröffentlichen hier eine gemeinsame Stellungnahme von Lucha de Clases (venezolanische Sektion der RCI) und Junta Patriótica de Salvación zur aktuellen politischen Krise in Venezuela. In dieser Erklärung vertreten wir eine Klassenposition sowohl gegenüber dem Autoritarismus der Regierung als auch gegen den heuchlerischen demokratischen Schleier, in den die pro-imperialistische Rechte die aktuelle Situation zu hüllen versucht. Hier der Original-Text auf Spanisch.
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Bei der Wahl vom 28. Juli war die arbeitende Bevölkerung mit zwei Optionen konfrontiert. Mit der Fortsetzung der anhaltenden Katastrophe der Regierung Maduros, die sich ganz in den Dienst der Neureichen der PSUV stellt und einer ultraliberalen Option, die sich für Privatisierungen ausspricht und unter der Führung der traditionellen Bourgeoisie und ihren imperialistischen Herren steht. Beide Optionen stellen zwei Seiten derselben Medaille dar, nämlich jener der Fortsetzung der Kürzungen und Sparmaßnahmen für die arbeitenden Massen, so dass die Arbeiter die Rechnung für die Krise des venezolanischen Kapitalismus bezahlen müssen.
Am Ende der Wahlen erklärte der Präsident der CNE (nationale Wahlbehörde) Nicolás Maduro zum Sieger, ohne die Ergebnisse der Auszählungen der einzelnen Wahllokale zu veröffentlichen, wie es das Gesetz vorschreibt. Der CNE und die Staatsbeamten haben immer wieder behauptet, Opfer von Cyberattacken gewesen zu sein. Gleichzeitig haben sie aber geplante Überprüfungen für diese Behauptung ausgesetzt. Maduro reichte daraufhin einen umstrittenen Antrag beim Obersten Gerichtshof (TSJ) ein, das Wahlergebnis zu überprüfen, um Zeit zu gewinnen.
Am Montag, dem 5. August, übergab der CNE die angeblichen Wahlunterlagen an die Justiz, um sie hinter verschlossenen Türen von einer Institution prüfen zu lassen, die dem Präsidentenpalast Miraflores selbst unterstellt ist. In der Zwischenzeit hat die pro-imperialistische Rechte eine Website eingerichtet, auf der sie mehr als 80% der angeblichen Auszählungsbogen der Wahllokale veröffentlicht hat, die einen Sieg ihres Kandidaten Edmundo González belegen sollen. Der Streit zwischen den alten und den neuen Reichen hat eine institutionelle Krise ausgelöst, die das Land ins Chaos stürzt und in der die arbeitende Bevölkerung nur verlieren kann.
Der US-Imperialismus hat seine Handlangerin, María Corina Machado, zur Siegerin erklärt. Ihre Position wurde von mehreren lateinamerikanischen Regierungen, die sich den USA anbiedern, übernommen. Verschiedenste Vertreter haben ebenso verlautbart, dass die Geduld der Vereinigten Staaten und der internationalen Gemeinschaft „am Ende“ ist. Es ist unsere Pflicht, diese Drohungen aufs schärfste zurück zu weisen. Sie kommen von der reaktionärsten Macht der Welt, die auf eine lange Tradition von Völkermorden, Invasionen und Putschen zurückblicken kann. Ihr Vorhaben ist es, unsere Naturressourcen in noch größerem Ausmaß auszuplündern und uns einen Diktator vorzusetzen, der die Interessen ihrer Banken und multinationalen Konzerne vertritt.
Nach der Veröffentlichung der ersten Wahlergebnisse durch den CNE haben die Menschen in den Stadt- und Armenvierteln ihre Unzufriedenheit in einem Volksaufstand auf die Straße getragen. Im Gegensatz zu den reaktionären Guarimbas („Aufstände“) von 2014 und 2017 – die sich immer auf die Viertel der oberen Mittelschicht konzentrierten – gingen am 29. Juli die Armen in Venezuela auf die Straße, um gegen ein Wahlergebnis zu protestieren, das sie nicht anerkennen. Die brutale, gegen das Volk gerichtete Sparpolitik der Regierung in Kombination mit der Repression und der Beschneidung demokratischer Rechte hat eine Mehrheit der armen Bevölkerung in die Fänge des skrupellosen, rechten Lagers getrieben.
Das ist eine traurige Tatsache, die sich nicht verbergen lässt. Die Unzufriedenheit der Bevölkerung hat eine neue Qualität erreicht und die Folgen davon werden Großteils den Verlauf der Ereignisse bestimmen. Es ist wichtig, den massiven Protest des Volkes vom 29. Juli von Formen von Vandalismus, Plünderung und Zerstörung zu trennen, die auf die Unterwanderung durch Teile des Lumpenproletariats zurückzuführen sind und den ursprünglichen Charakter der Demonstrationen verzerrt haben. Darüber hinaus gab es Morde und Hassverbrechen gegen Pro-Maduro-Aktivisten, was wir kategorisch ablehnen.
Die Regierung zögerte wiederum nicht, die Polizei und paramilitärische Polizeitruppen gegen die Proteste einzusetzen, was in weniger als einer Woche zu 24 Toten, Dutzenden Verletzten und mehr als 2.000 Verhaftungen geführt hat. Die Regierung hat die Situation auf den Straßen vorerst unter ihre Kontrolle gebracht. Seitdem werden vor allem die Stadtviertel von Caracas von Polizei und Paramilitärs überwacht. Staatliche Repressionsorgane führen Hausdurchsuchungen durch und verhaften Demonstranten ohne Haftbefehl. In vielen Fällen informieren die Behörden einen nicht einmal darüber, wo die Verhafteten festgehalten werden, so dass ihre Familien sie nicht sofort ausfindig machen können. Die Verhafteten werden wegen Hassverbrechen und Terrorismus strafrechtlich verfolgt, ohne dass sie das legitime Recht auf einen Anwalt oder Einsicht in ihre Akten bekommen.
Der Präsident der Republik hat angekündigt, dass die Inhaftierten in die Gefängnisse von Tocuyito und Tocorón verlegt werden sollen, was den Grundsatz der Unschuldsvermutung verletzt und von vornherein eine Verurteilung darstellt. Weiters hat der Präsident PSUV-Mitglieder dazu aufgerufen, ihre Nachbarn über die staatliche VenApp zu denunzieren. Ein Vorgehen, das wir scharf verurteilen.
Ebenso verurteilen wir aufs Schärfste die Verletzungen aller demokratischen Rechte der Menschen in diesen Vierteln, die Repression, die willkürlichen Verhaftungen und Razzien, die Behinderung von ordnungsgemäßen Verfahren und die Anklagen gegen mehr als 2.000 Personen, die im Begriff sind, in mangelhaften Gerichtverfahren wegen schwerer Verbrechen verurteilt zu werden. Es ist unsere Pflicht, die sofortige Freilassung aller willkürlich inhaftierten Bürger und die Einstellung der Gerichtsverfahren gegen sie zu fordern.
Die Parteien der pro-imperialistischen Bourgeoisie haben sich stets von den Protesten in den Stadtvierteln und an öffentlichen Plätzen distanziert und damit ihre Angst vor der Eigeninitiative der armen Massen und vor der Möglichkeit, von ihnen überholt zu werden, gezeigt. Sie haben sich der Erklärung von Fedecámaras angeschlossen, in der der größte Unternehmensverband des Landes die friedlichen Demonstranten auffordert, ihre Geschäfte nicht zu stören. Das rechte Lager hat sich mit keinem Wort zu den willkürlichen Verhaftungen in den Barrios geäußert und sich darauf beschränkt, die Verhaftung von Aktivisten oder Führern der PUD-Parteien [PUD, Demokratische Einheitsplattform; ein Bündnis von Oppositionsparteien] anzuprangern. Dies sagt uns alles, was wir über den arbeiterfeindlichen Charakter dieser Reaktionäre wissen müssen.
Aufgrund außergewöhnlicher Umstände genießen sie heute die unverdiente Wahlunterstützung von Millionen von Arbeitern und Armen, die sie durch ihr Schweigen eindeutig verraten haben.
Die Organisationen, die diese Erklärung vorlegen, halten es für notwendig, eine konsequente Klassenposition zu beziehen, indem sie sich kategorisch sowohl gegen die traditionelle Rechte stellen – die hofft, wieder an die Macht zu kommen, um die ganze revanchistische Wut der Reaktion zu entfesseln, nicht nur gegen die Chavistas, sondern auch gegen das gesamte arbeitende Volk – als auch gegen den Autoritarismus der Regierung, der uns erst in diese ausweglose Lage geführt hat.
Wir glauben nicht an die falsche „demokratische“ Verkleidung des rechten Lagers, das in der Vergangenheit wiederholt Staatsstreiche in Venezuela organisierte, zur Invasion ausländischer Streitkräfte aufrief und finanzielle Sanktionen gegen das eigene Land befürwortete. Aber wir weisen auch das falsche Gerede von der Opferrolle derselben Regierung zurück, die Löhne und Arbeitsrechte zerstört, die Unabhängigkeit der Gewerkschaften aushöhlt, sich mit den Interessen der Großgrundbesitzer verbündet, jede Form der Volksbeteiligung bürokratisch erstickt, die Staatskasse zugunsten der Schicht der Neureichen der PSUV plündert und einen konservativen, anti-demokratischen Kurs verfolgt, während sie mit Fedecámaras, Consecomercio und Conindustria verhandelt.
Wir fordern, dass der an der Wahlurne zum Ausdruck gebrachte Volkswille anerkannt wird, während wir gleichzeitig der pro-imperialistischen rechten Opposition unser völliges Misstrauen aussprechen. Ein vollständig unabhängiger Standpunkt der Arbeiterklasse ist notwendig, um den Autoritarismus der Regierung zu bekämpfen. Während wir die Wiederherstellung der demokratischen Rechte fordern, die in der letzten Periode gebrochen wurden, rufen wir die Arbeiter in Stadt und Land dazu auf, sich zu organisieren, um bessere Löhne und Arbeitsrechte, qualitativ hochwertige öffentliche Dienstleistungen, das Recht auf Land für die Bauern und Bäuerinnen sowie Bildung und anständige Arbeitsplätze für die Jugend zu erkämpfen. Nur der Kampf und die Organisierung aller Unterdrückten wird den Weg in eine bessere Zukunft ebnen.
Gegenwärtig versuchen verschiedene Akteure unter Federführung der Regierungen von Brasilien, Kolumbien und Mexiko Gespräche zwischen den Konfliktparteien zu initiieren. Sollten sie zustande kommen, würden das rechte Lager und die Regierung die Zukunft des Landes auf dem Rücken und zum Nachteil der arbeitenden Bevölkerung aushandeln. Aus diesem Grund lehnen wir alle Verhandlungen hinter verschlossenen Türen ab und erkennen sie nicht an. Schluss mit der Kontrolle unseres Schicksals durch die nationalen und internationalen Eliten!
Das Fehlen eines subjektiven politischen Faktors, der die Interessen der Arbeiter und des Volkes vertritt, hat die unterdrückten Klassen daran gehindert, ihre Interessen in der Gesellschaft zu verteidigen und sich zu positionieren. Wir rufen offen zum Aufbau einer revolutionären Alternative auf, die in der Lage ist, die Kräfte der Arbeiterklasse und des Volkes zu vereinen, um sowohl die alten als auch die neuen Reichen zu bekämpfen und eine Gesellschaft aufzubauen, die die Bedürfnisse der Mehrheit stillen kann. Alle Arbeiter, Bauern, Kommunarden und konsequenten Revolutionäre, die bereit sind, uns bei diesem großen Vorhaben zu unterstützen, rufen wir genau dazu auf. Wir rufen das chavistische Volk, das sich heute verraten fühlt, auf, uns bei dieser großen Aufgabe zu unterstützen. Nur so kann garantiert werden, dass die Interessen der Armen des Landes nicht weiter mit Füßen getreten werden. Wir können uns nur auf unsere eigene Kraft verlassen.
- Anerkennung der demokratischen Rechte und volle Freiheit für die Protestierenden!
- Anerkennung des Volkswillens!
- Größtes Misstrauen gegenüber der pro-imperialistischen Bourgeoisie!
- Wer auch immer regiert – Wir verteidigen unsere Rechte!
- Nein zum Dialog der Eliten!
- Lasst uns die revolutionäre Alternative aufbauen!