Am 19. Juni wurde Gustavo Petro mit 50,48% zum Präsident Kolumbiens gewählt. Er ist somit der erste linke Kandidaten in der Geschichte des Landes, der dieses Amt innehat. Vincent Angerer über die Bedeutung dieses Wendepunkts und die weitere Perspektive für die Arbeiterbewegung.
Gustavo Petro konnte das Duell gegen den rechtsliberalen Populisten Rodolfo Hernandez in der zweiten Runde der Präsidentschaftswahlen für sich entscheiden. Die Grundlage für dieses Ergebnis war eine breite Mobilisierung der Arbeiterklasse und der Jugend. Dieser Sieg kann nicht zu hoch eingeschätzt werden. Kolumbien ist seit Jahrzehnten ein Bollwerk der Reaktion mit einer Tradition von gezielten Attentaten an linken KandidatInnen und Gewerkschaftler, die der herrschenden Oligarchie gefährlich werden könnten. So wurden in den letzten Jahren 1.163 AktivistInnen der linken Partei Unión Patriótica getötet, einschließlich 2 Präsidentschaftskandidaten, 13 Parlamentarier und 11 lokale Bürgermeister. Der Wahlsieg Petros stellt daher einen großen Sieg der Arbeiterklasse gegen die Reaktion und die Oligarchie dar.
Ein Sieg der Massen
In Kolumbien befindet sich der Großteil des Landes in den Händen von Großgrundbesitzern. Außerdem ist die Wirtschaft völlig auf den Export von Erdöl fokussiert. Die zwei größten Reformvorschläge von Petro, die Landreform sowie der Ausstieg aus der Erdölextraktion, können nicht ohne die Enteignung der Kapitalisten vollbracht werden. Die Großgrundbesitzer sind über tausend Fäden mit den Bankiers, Industriellen und Imperialisten verbunden, während sowohl das kolumbianische als auch das US-amerikanische Bürgertum vom Erdölexport abhängt. Es ist klar, dass die Reformen nur durch einen Bruch mit dem Kapitalismus erkämpft werden können.
Bereits in seiner Siegesrede lehnt Petro diese Strategie allerdings klar ab. Zum Erstaunen seiner ZuhörerInnen sagte er: „Allen, die behaupten, dass wir das Privateigentum zerstören werden, entgegne ich: Wir werden den kolumbianischen Kapitalismus entwickeln.“
Für eine Offensive der Arbeiterklasse
Dies ist eine gefährliche Illusion. Der Kapitalismus im Niedergang lässt keinen Platz für eine fortschrittliche Entwicklung, nicht auf globaler Ebene und schon gar nicht in Kolumbien.
Die kolumbianische Wirtschaft befindet sich in einer tiefen Krise, auch wenn es an der Oberfläche ein hohes Wirtschaftswachstum gibt. Es herrscht eine galoppierende Inflation – die Nahrungsmittelpreise sind um fast 27 % gestiegen. Petro will dagegen mit der staatlichen Subventionierung landwirtschaftlicher Importgüter (Saatgut, Dünger) vorgehen. Doch dieses Vorhaben verfestigt nur die Abhängigkeit von internationalen Großkonzernen wie Monsanto und verteilt öffentliche Gelder an sie.
Tatsächlich sind Preiskontrollen, die durch VertreterInnen der Arbeiterklasse durchgeführt werden, sowie ein Anstieg der Löhne, entsprechend der Inflationsrate, unmittelbar notwendig. Die Aufgabe der MarxistInnen ist es, für diese Forderungen einzutreten, sich unter den kämpferischsten Teilen der Arbeiterbewegung zu verankern und eine Perspektive zu bieten, wie die von Petro vorgeschlagenen Reformen erreicht werden können – und zwar auf der Basis eines antikapitalistischen, revolutionären Programmes. Dies ist die Arbeit, der sich unsere kolumbianischen GenossInnen widmen.