Iran: Anhaltende Streikwelle und wachsendes Klassenbewusstsein

Im letzten Monat fanden über 150 Streiks und Proteste im Iran statt. Das ist allerdings nur die jüngste Streikwelle seit 2018. Der derzeitige Kampf umfasst Ölarbeiter in Chuzestan, Arbeiter auf den Zuckerplantagen in Haft Tepe, Bergmänner in Aserbaidschan, Chorasan und Kerman, Demonstrationen der Lehrer auf nationaler Ebene sowie die andauernden Proteste der Bauern und viele weitere.

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Entschlossenes Chuzestan: Arbeiter in der Ölindustrie und in Haft Tepe streiken

Am entschlossensten wird der Klassenkampf derzeit in der Provinz Chuzestan geführt. Dort kämpfen aktuell die Arbeiter der Zuckerrohrplantage in Haft Tepe und der Ölindustrie. Erstere haben sich bereits jahrelang für die Enteignung ihres Betriebs und für die Verhaftung ihres ehemaligen Chefs eingesetzt. Ihr hartnäckiger Kampf, der von der Gewerkschaft in Haft Tepe mithilfe eines Arbeiterrates organisiert wurde, hat sich ausgezahlt: Sie konnten dem Regime ihren Willen aufzwingen, weshalb ihr korrupter früherer Boss seit Januar dieses Jahres inhaftiert ist. Trotz dessen bleibt das Schicksal der Plantage unklar, während Gerüchte über ihre erneute Privatisierung die Runde machen. Die Gewerkschaft in Haft Tepe fordert die Wiederverstaatlichung unter Kontrolle der Arbeiter.

Währenddessen setzen Gas- und Ölarbeiter ihren Kampf fort. Sie begannen ihren Streik Ende Juni, wobei dieser mit Beteiligung von Arbeitern in Māhschahr, Ahvaz und Assaluyeh nun zunehmend auf die Provinz Chuzestan isoliert ist. Als Inspiration dienten die Methoden der Arbeiter in Haft Tepe, weshalb der den Streik organisierende Rat die Bildung von Streikkomitees an jedem Arbeitsplatz ausgerufen hatte. Hierdurch sollte der Einfluss der unter Kontrolle des Regimes stehenden Gewerkschaften bekämpft werden.

Trotz der Entschlossenheit des nationalen Streiks, welcher einen wichtigen Fortschritt gegenüber den lokalen, isolierten Streiks vor ihm darstellt, erlaubte die Dezentralisierung der unabhängigen Streikkomitees dem Regime, Verwirrung in den Reihen der Streikenden zu stiften. Die Regierung Raisis sowie Privatunternehmen machten leere Versprechungen, um die Arbeiter vom nationalen Streik abzuspalten, der von dem Streik-Organisierungsrat geführt wird. Allerdings dämmerte es bereits einigen Arbeitern, die ihre Arbeit wieder aufgenommen hatten, dass das Regime ihnen nichts anzubieten hat. Daher haben Sie erneut angefangen, für ihre Forderungen zu protestieren.

Einer der Ölarbeiter Assaluyehs erläuterte den Weg zum Erfolg in einem offenen Brief: „Ich rufe alle meine Kollegen dazu auf, mit dem Organisierungsrat zentral zu kooperieren. Dadurch stärken wir einerseits unsere eigene Position, andererseits präsentieren wir diversen Unentschlossenen eine überzeugende Antwort.“ Die protestierenden und streikenden Ölarbeiter müssen sich zusammenschließen, für einen entschlossenen Streik des Ölsektors eintreten und den Kontakt zu anderen kämpfenden Arbeitern in ihrer Region suchen.

Streiks der Bergarbeiter von Kerman über Aserbaidschan bis nach Chorasan

Kohlekumpels in Sarakhs in der Provinz Razavi-Chorasan befinden sich seit dem 27. September im Streik. Von den Ölarbeitern und den Arbeitern der Zuckerrohrplantage in Haft Tepe inspiriert, organisierten auch sie ein Streikkomitee. Sie stellten Forderungen nach Vollzeitverträgen, der gleichen Entlohnung für Stammbeschäftigte und Zeitarbeiter, einem Mindestlohn von zehn Millionen Toman (entspricht rund 210 Euro), der sofortigen Erneuerung ihrer Versicherungen, der Auszahlung bisher nicht gezahlter Löhne und letztlich der Wiederverstaatlichung der Minen. Bergarbeiter haben sich, so wie viele andere Angehörige des Proletariats, an kontinuierlichen Streiks und Protesten gegen die Hungerlöhne von fünf bis sieben Millionen Toman (entspricht rund 105 bis 147 Euro) beteiligt. Genauso wie die restliche Arbeiterklasse sind sie mehrheitlich befristet auf lediglich drei Monate eingestellt. Einer der Streikenden kommentierte die prekären Arbeitsverträge und den Widerstand der Bosse, selbst die Hungerlöhne zu zahlen, so: „Wir, die Arbeiter des Kohletagebaus in Sarakhs, haben über 15 Monate kein Gehalt ausgezahlt bekommen. Sie geben uns keine andere Wahl.”

Diese Forderungen wurden in kürzester Zeit in anderen Minen aufgegriffen, wie etwa dem Kohletagebau in Zarand in der Provinz Kerman und der Kupfermine in Sungun in der Provinz Aserbaidschan – der größten im gesamten Iran. In Sungun wurde der Streik kurzzeitig vom 05. bis zum 12. Oktober ausgesetzt, als das Regime Zusicherungen machte. Am 13. Oktober wurde eine Einheit für Aufstandsbekämpfung gegen die Kohlekumpels in Zarand eingesetzt; aus Angst, dass die kämpferische Forderung nach einer Wiederverstaatlichung auch auf andere privatisierte Kohletagebaue in der Umgebung übergreifen könnte. Das Regime griff eine Demonstration der Streikenden sowie ihrer Familien brutal an und schlug damit den Streik nieder. Währenddessen befinden sich die direkt angestellten Arbeiter bei der Kerman Coal Company unter Führung der Islamischen Arbeiterräte seit dem 09. November im Streik.

Der Aufruf, Streikkomitees einzurichten, ist ein wichtiger Fortschritt. Isolierte, kämpferische Streiks in einzelnen Minen können vom Regime allerdings einfach unterdrückt werden. Es ist für die Bergarbeiter notwendig, sich auf nationaler Ebene zu organisieren und unter Führung eines Streikkomitees auf Grundlage gemeinsamer Forderungen zu kämpfen.

Nationale Proteste von Lehrern

Seitdem das Schuljahr begonnen hat, gab es drei große Proteste der Lehrer im gesamten Iran. Diese begannen am 21. September in 22 Städten. Am 28. September war die Zahl der Städte, in denen es Aktionen gab, auf 30 angewachsen. Am 14. Oktober waren es bereits 44 und zum 11. November sogar 51 Städte. Die Parolen auf den Demonstrationen waren beispielsweise „Eine Lebensgrundlage ist ein Grundrecht!“, und „Gute und kostenlose Bildung für alle!“ Zu den Protesten rief der Koordinationsrat der Arbeiter im kulturellen Bereich auf. Dieser führte in seinem Aufruf aus, dass „in den letzten sechs Monaten Lehrkräfte im gesamten Land mehrmals sowohl spontan als auch koordiniert durch den Koordinationsrat demonstriert haben. Bis dato wurden die Forderungen allerdings ignoriert.“ Diese beinhalten:

  • Gehälter in Höhe von 80 Prozent des Gehalts von Dozenten an Universitäten.
  • Gleiche Bezahlung aller Lehrkräfte und ein existenzsicherndes Einkommen für neu angestellte Lehrer.
  • Bereitstellung notwendiger Lehrmittel, inklusive Smartphones, Computer und kostenloses Internet für alle Lehrer und Schüler.
  • Sofortige Nachzahlung aller nicht gezahlten Renten sowie Anpassung an die Inflation.
  • Stopp der Privatisierung des Bildungssektors.
  • Freilassung aller inhaftierten sowie Wiedereinstellung aller auf die schwarze Liste gesetzten Lehrer.

Das Regime nutzt die Massenarbeitslosigkeit und die Verzweiflung in der Gesellschaft aus, und zwingt die Lehrer in schlecht bezahlte Jobs mit befristeten Verträgen, deren Gehälter teils nur 2,3 Millionen Toman (entspricht rund 48 Euro) betragen. Sie sind dabei nicht die einzigen. Auch andere Angestellte des öffentlichen Sektors, wie etwa Krankenschwestern, Ärzte, Dozenten und Busfahrer haben sich an andauernden Protesten gegen ähnliche Bedingungen beteiligt. Die Kapitalistenklasse Irans treibt den öffentlichen Sektor durch Inflation, Korruption und Sparmaßnahmen in Richtung Zusammenbruch. Ein Drittel des Haushalts der Regierung ist nicht finanziert. Im Fall der Bildung wurde die Krise noch dadurch verschärft, dass infolge der Pandemie auf Fernunterricht umgestiegen werden musste. Das hat die soziale Krise verschärft. Viele der Kinder waren gezwungen, die Schule abzubrechen, um ihre Familien in dieser Zeit zu unterstützen. Allein für dieses Schuljahr betrifft das eine Million Kinder.

Der Koordinationsrat hat hervorgehoben, dass er die Position vertritt, „dass der einzige Weg, um unsere Forderungen durchsetzen zu können, die Solidarität und der Zusammenhalt der Arbeiter sowie das Fortsetzen des Kampfes ist.“ Die Bildung des Koordinationsrates unter Beteiligung einfacher Lehrer sowie der radikalsten Gewerkschafter, die teils auch den vom Regime kontrollierten Gewerkschaften angehören, ist ein wichtiger Fortschritt im Vergleich zu den vorherigen spontanen Protesten. Das Ausmaß der derzeitigen Krise erfordert allerdings den vereinten Kampf aller Arbeiter. Der Koordinationsrat muss einen Schritt weiter gehen und die gesamte Arbeiterklasse, insbesondere andere Angestellte des öffentlichen Sektors, dazu aufrufen, sich den Protesten anzuschließen und ihre eigenen Forderungen der Bewegung hinzuzufügen.

Revolution oder Barbarei

Kapitalismus ist ein real gewordener Albtraum für die überwältigende Mehrheit der Iraner. Die Sanktionen unter Federführung der USA haben die widerwärtigsten, parasitären Vertreter der iranischen Bourgeoisie an die Macht gebracht. Die Wirtschaft und die Infrastruktur brechen zusammen, was Massenentlassungen zur Folge hat. Offiziell beträgt die Inflation für Nahrungsmittel 70 Prozent und die Arbeitslosigkeit 25 Prozent. In der Realität sind diese Zahlen allerdings deutlich höher. Preiskontrollen und Subventionen sind angesichts einer derartigen Inflation wirkungslos. Sie erschaffen lediglich einen ausufernden Schwarzmarkt unter Führung der Kapitalisten, während arme Bauern dazu gezwungen sind, ihre Erzeugnisse entweder mit Verlust zu verkaufen oder zu zerstören. Stromausfälle sind seit diesem Sommer Teil des Alltags, obwohl der Iran die viert-größten Vorkommen an für die Stromerzeugung nutzbaren Rohstoffen auf der gesamten Welt hat.

Laut dem Regime leben mittlerweile zwei Drittel der Bevölkerung in Armut, was eine Verdopplung im Vergleich zu 2017 darstellt. Eine Besserung ist nicht in Sicht. Die Mehrheit der iranischen Arbeiter wird in befristete Arbeitsverhältnisse gezwungen, wo sie lediglich den Mindestlohn von vier Millionen Toman (entspricht rund 84 Euro) oder sogar noch weniger bekommen. Angesichts der Inflation ist dieser Lohn praktisch wertlos. Selbst der Islamische Arbeiterrat gibt zu, dass ein durchschnittlicher Haushalt, dessen Einkommen auf dem Mindestlohn basiert, nur zehn Prozent seiner monatlichen Ausgaben stemmen kann. Das Regime weiß um die Gefahr, die der Klassenkampf darstellt, ist allerdings nicht ansatzweise in der Lage, eine Lösung anzubieten. Ohne andere Möglichkeiten hat es keine andere Wahl, als weiterhin die in den Abgrund führende Politik des Gelddruckens fortzuführen, um Subventionen und Sozialleistungen zu erhöhen. Die Sanktionen, die der US-Imperialismus dem Iran auferlegt, verschlimmern die gesamte Situation dramatisch. Das Regime ist mehr als bereitwillig, diesen Aspekt zu nutzen, um die Massen unter Berufung auf die Gefahr von außen zum Gehorsam zu bringen.

Die neue Regierung unter Führung des Präsidenten Raisi hat die Herrschaft der Islamischen Republik inmitten ihrer schlimmsten Krise seit ihrer Gründung vor 40 Jahren übernommen. Bereits bei den Scheinwahlen im Juni wurde deutlich, dass die Massen das Regime mit überwältigender Mehrheit abgelehnt haben, indem sie die Wahl boykottierten. Die Versuche der Regierung, die Arbeiter zu besänftigen, sind allesamt gescheitert. Beispielsweise besuchten der Präsident und mehrere Minister die Ölarbeiter in Assaluyeh, wurden aber vom dortigen Streik-Organisierungsrat boykottiert. Dieser stellte klar: „Wir werden nicht mit den Ministern reden, um von ihnen leere Versprechungen zu bekommen.“ Er erklärte weiter: „Sie (die Politiker) wollen nur vor 20 Kameras mit uns reden, um unseren Kampf für ihren Vorteil auszunutzen.“ Der Minister für Arbeit antwortete am 9. November auf die Frage eines Journalisten bezüglich der sinkenden Kaufkraft der Arbeiter folgendermaßen: „Warum sagen Sie Arbeiter? Die Kaufkraft der Angestellten, der Experten und der leitenden Manager ist auch gesunken.“ Der übliche Appell an die nationale Einheit im Angesicht der Sanktionen des US-Imperialismus hat schon lange keine Wirkung mehr. Selbst die Islamische Arbeitsorganisation, Worker’s House, kritisierte den Minister für seinen Realitätsverlust. All dies zeigt, wie sich das Bewusstsein der Massen seit dem Klassenkampf von 2018 weiterentwickelt hat. Bereits seit einiger Zeit ist das Regime gezwungen, sich zunehmend auf Gewalt und Unterdrückung zu stützen oder ansonsten zu hoffen, dass die Streikenden und Protestierenden von selbst ermüden werden.

Für eine nationale Arbeiterbewegung! Kämpft für einen Generalstreik!

Seit 2018 wird die Islamische Republik mit nie dagewesenen Wellen des Klassenkampfes konfrontiert. An diesen beteiligen sich alle Schichten der Arbeiterklasse mit Streiks, Protesten und sogar Aufständen. Trotzdem bleibt die Islamische Republik an der Macht. Alle Aufstände, inklusive des letzten im Juli in Chuzestan, scheiterten in Ermangelung einer Führung. Während der Aufstände solidarisierten sich die Arbeiter im gesamten Land und stellten eigene Forderungen gegen das Regime auf. Hätten verschiedene Bewegungen und unabhängige Organisationen der Arbeiter zum Generalstreik aufgerufen, wäre die gesamte Arbeiterklasse diesem Aufruf gefolgt. Ohne eine solche Führung war die Revolte in Chuzestan auf die Bauern und Jugendlichen in den Städten beschränkt, weshalb sie schnell niedergeschlagen werden konnte. Das Resultat waren 505 Festnahmen und 15 Hinrichtungen.

In den verschiedenen nationalen Bewegungen, die im gesamten Land Streiks und Proteste angeführt haben, hat sich bereits die Vorstufe einer Bewegung unabhängiger Arbeiterorganisationen entwickelt. Dass die Streiks der Lehrer sowie der Öl- und Gasarbeiter sich von isolierten, lokalen Ereignissen zu Kämpfen auf nationaler Ebene weiterentwickelt haben, bei denen sich Komitees an Arbeitsplätzen und in ganzen Wirtschaftssektoren gebildet haben, ist ein enormer Fortschritt. Die Art und Weise, wie die verschiedenen Schichten nach und nach dazu übergehen, radikale Forderungen zu stellen, ist ein weiteres Symptom des sich schärfenden Klassenbewusstseins. Die aufkommende Bewegung der Bergmänner, die sich sowohl in ihrer Forderung nach Verstaatlichung als auch in den konsequenten Methoden ihres Kampfes direkt von den Arbeitern in Haft Tepe inspirieren ließen, ist eine exzellente Veranschaulichung dieses Prozesses.

Während diese Kampagnen und ihre Forderungen bereits einen wichtigen Fortschritt darstellen, ist es allerdings notwendig, den gemeinsamen Kampf der gesamten Arbeiterklasse und der Armen zu organisieren. Die gegenwärtige Lage erfordert mehr als bloße Solidaritätsbekundungen zwischen verschiedenen Arbeitskämpfen. Sie erfordert ein gemeinsames Programm, um die verschiedenen losen Streiks und Proteste in eine vereinte Macht gegen das Regime zu formen.

Die Forderungen eines solchen Programms würden die Umkehrung aller Sparmaßnahmen; existenzsichernde Löhne und Renten, die mit der Inflation steigen; ein umfassendes Programm öffentlicher Anstrengungen, die marode Infrastruktur des Landes zu reparieren; die Wiederverstaatlichung aller privatisierten Unternehmen unter Kontrolle der Arbeiter; und die Einführung der Arbeiterkontrolle über die staatliche Wirtschaft beinhalten. Die folgenden demokratischen Forderungen müssen sich ebenfalls in diesem Programm wiederfinden: Einführung eines Streik- und Versammlungsrechts sowie ein offener Aufruf, die Islamische Republik abzuschaffen und eine verfassungsgebende Versammlung zu wählen.

Ein solches Programm würde Unterstützung von breiten Teilen der iranischen Gesellschaft erfahren. Unabhängige Arbeiterorganisationen sollten auf dessen Basis einen ersten Schritt in Richtung des Sturzes des Regimes tun, indem sie die Bedingungen für einen Generalstreik schaffen. Trotz der Repressalien, die sie ertragen musste, kann und wird die iranische Arbeiterklasse eine unabhängige Arbeiterbewegung aufbauen, wie sie es bereits so oft getan hat. Sobald solch eine Bewegung existiert, wird sie in der Lage sein, der verhassten Islamischen Republik ein Ende zu bereiten.

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