In den USA ist eine Streikbewegung in verschiedenen Sektoren ausgebrochen: vom Gesundheitswesen bis zum Baugewerbe, vom Tischlerhandwerk bis zum Kohlebergbau, über Medien und Kommunikation, bis hin zu Snackfood- und Getreideproduktion. Insgesamt haben 100.000 ArbeiterInnen in diesem Monat für einen Streik gestimmt.
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Die alten Gewerkschaftsbürokraten versuchten einige dieser Kämpfe zu untergraben, aber sie haben mit der zunehmenden Militanz einer Arbeiterklasse zu kämpfen, die nicht bereit ist, die wirtschaftliche Last der Pandemie zu tragen, während die Gewinne der Bosse in die Höhe schnellen.
Die tiefgreifenden Veränderungen der letzten 18 Monate erschüttern das System und bereiten die Bühne für einen Wendepunkt im amerikanischen Klassenkampf.
Aufkommende Streikwelle
Nachdem sie ihr Leben riskiert und enorme Opfer gebracht haben, fordern die Beschäftigten des Gesundheitswesens nun, was ihnen zusteht. 24.000 Pflegende und und andere ArbeiterInnen des Kaiser-Permanente-Konsortiums in Kalifornien haben diesen Monat für einen Streik gestimmt, ebenso wie weitere 10.000 bei Kaiser beschäftigte GesundheitsarbeiterInnen in Oregon.
Das war eine Reaktion auf einen neuen Arbeitsvertrag, der eine lächerliche Gehaltserhöhung von 1 Prozent für das bestehende Personal mit einer Kürzung von 26 bis 39 Prozent für neu Eingestellte kombiniert.
Dieses zweistufige System (das auf dem US-Arbeitsmarkt immer häufiger anzutreffen ist) ermöglicht es den Bossen, Teile der Belegschaft in einem allgemeinen Wettlauf nach unten gegeneinander auszuspielen. Gleichzeitig hat Kaiser im zweiten Quartal 2021 einen Gewinn von 3 Mrd. USD erzielt.
Auch in Buffalo, New York, legten 2.500 PflegerInnen und Spitalangestellte, die bei der gemeinnützigen Catholic Health Company beschäftigt sind, die Arbeit nieder, um auf Personalmangel, niedrige Löhne und Angriffe auf ihre Renten zu reagieren. Diese Streiks kamen zu dem laufenden Streik der Pflegenden im St. Vincent Hospital in Worcester, Massachusetts, hinzu.
Dank der völligen Inkompetenz und rücksichtslosen Politik des Establishments wurde die USA besonders hart von der Pandemie getroffen.
Infolgedessen wurde das Gesundheitspersonal in überfüllten Krankenstationen massiv belastet. „Es gab keine Überstunden und keine Gefahrenzulage“, erzählte so ein ehemaliger Mitarbeiter des Gesundheitswesens im Guardian, der beschrieb, wie das Jahr 2020 in einer Reihe von 24-Stunden-Schichten verging.
Diese untragbaren Zustände haben in Verbindung mit 3 600 Todesfällen von ArbeiterInnen des Gesundheitswesens durch COVID-19 zu einem kritischen Personalmangel geführt. Dies hat den Druck auf die verbliebenen ArbeiterInnen noch erhöht, zumal die Delta-Variante in diesem Sommer zu einer erneuten Welle von Fällen geführt hat.
„Die Leute sind ausgebrannt, sie klagen über psychische Probleme und PTSD (posttraumatische Belastungsstörungen). Als Gewerkschaft sind wir in einer Situation, in der wir uns Sorgen um die Zukunft der Krankenpflege machen“, sagte Denise Duncan, Präsidentin der Gewerkschaft United Nurses Associations of California/Union of Health Care Professionals.
In der Zwischenzeit hat die Wiedereröffnung der Wirtschaft zu einem Boom in einigen Sektoren geführt, doch während die Bosse ein Vermögen verdienen, werden die ArbeiterInnen noch weiter in Armut und Unsicherheit gedrängt.
John Deere zum Beispiel – ein Hersteller von Landwirtschaftsmaschinen – rechnet in diesem Jahr mit einem Rekordgewinn von 6 Milliarden Dollar. Diese 61-prozentige Steigerung hat dazu geführt, dass der Vorstandsvorsitzende John C. May sich selbst mit einem Jahresgehalt von 15 Millionen Dollar belohnt hat – das 220-fache eines durchschnittlichen Angestellten.
Der jüngste Vertrag, der den Arbeitnehmern am 12. September vorgelegt wurde, sieht Löhne vor, die kaum mit der steigenden Inflation Schritt halten; außerdem sollen die Kosten für die Gesundheitsfürsorge steigen, das Moratorium für Betriebsschließungen aufgehoben, die Rentenbedingungen für Neueinstellungen untergraben und die Möglichkeiten für Überstunden reduziert werden.
Chris Larsen, ein Aktivist der United Auto Workers (UAW) und seit 19 Jahren bei John Deere beschäftigt, bezeichnete dieses Angebot zu Recht als „Schlag ins Gesicht“. Die 10.000 ArbeiterInnen in Iowa, Illinois und Kansas stimmten zu 99 Prozent für einen Streik, wenn kein neuer Vertrag vorgelegt würde.
Nach mehreren abgelehnten Angeboten und trotz der Manöver der Gewerkschaftsführung kam es am 14. Oktober schliesslich zu einer vollständigen Arbeitsniederlegung.
Seit April streiken 1.000 Bergarbeiter aus Alabama gegen Warrior Met. Das Unternehmen hat versucht, die durch die sinkende Nachfrage während der Pandemie entstandenen Verluste auf die Beschäftigten abzuwälzen, indem es neue Verträge mit schlechteren Löhnen und Bedingungen ausarbeitete.
Jetzt steigen die Kohlepreise wieder an, um die Schwerindustrie in aller Welt zu versorgen, aber die Bosse weigern sich, in diesem besonders erbitterten Klassenkonflikt nachzugeben.
Streikbrecher haben die streikenden Aktivisten der United Mine Workers of America (UMWA) eingeschüchtert und angegriffen, wobei mehrfach Fahrzeuge in ihre Streikposten gerammt wurden und mehrere Menschen im Krankenhaus landeten.
Die Minenarbeiter bleiben jedoch standhaft. Bei einer Protestaktion vor den Büros von Warrior Met erklärte der UMWA-Aktivist Dedrick Garner: „Diese Einschüchterung macht mir nichts aus… Was du heute tust, beeinflusst, was morgen mit dir passiert. Wenn du also nicht aufstehst, wirst du später fallen.“
1.400 Beschäftigte in vier verschiedenen Kellogg’s-Fabriken streiken ebenfalls seit dem 5. Oktober. Als beliebtes Grundnahrungsmittel stiegen die Müsli-Verkäufe im Jahr 2020 um mehr als 8 Prozent, wobei Kellogg’s-CEO Steven Cahillane in diesem Jahr rund 11,6 Millionen Dollar einstrich.
Trotzdem kündigte Kellogg’s an, im Rahmen einer „Rationalisierung“ 212 Arbeitsplätze in seinem Werk in Battle Creek, Michigan, zu streichen, und drohte damit, noch mehr Arbeitsplätze nach Mexiko auszulagern, falls die Gewerkschaft BCTGM (Bakery, Confectionery, Tobacco Workers and Grain Millers International Union) mit Streiks antworte.
Darüber hinaus streichen die Bosse von Kellogg’s die Lebenshaltungskosten und greifen das Urlaubsgeld und den Urlaub an, während sie ein zweistufiges Lohn- und Sozialleistungssystem für bestehende und neue ArbeiterInnen einführen. Währenddem presst das Unternehmen weiterhin jeden Tropfen Profit aus den Lohnabhängigen.
„Vor einem Jahr wurden wir noch als Helden gefeiert, weil wir sieben Tage die Woche und 16 Stunden am Tag gegen die Pandemie angekämpft haben. Jetzt sind wir offenbar keine Helden mehr. Es kann sehr schnell gehen von Hero to zero“, sagte Trevor Bidelman, Präsident von BCTGM Local3G, der im Kellogg’s-Werk in Battle Creek arbeitet.
Er fuhr fort: „Wir haben gar keine Wochenenden. Wir arbeiten einfach sieben Tage die Woche, manchmal 100 bis 130 Tage am Stück. Die Maschinen laufen 28 Tage lang und ruhen dann drei Tage zur Reinigung. Sie behandeln uns nicht einmal so gut wie ihre Maschinen“.
Das heuchlerische Abfeiern der „essentiellen Arbeiter“ durch das kapitalistische Establishment während der Pandemie, gefolgt von diesen erneuten Angriffen, haben zu einem Bewusstseinswandel unter der amerikanischen Arbeiterklasse geführt; insbesondere mit dem Gerede von einem – wenn auch fragilen – wirtschaftlichen „Aufschwung“.
Dies wiederum führt zu einer noch grösseren Bereitschaft sich zu wehren.
Zu den oben genannten Beispielen kommen noch weitere hinzu: Lohnabhängige in der Kommunikationsbranche in Kalifornien, im Nahverkehr in Texas, ArbeiterInnen im öffentlichen Dienst in Minnesota, in der Gastronomie in Illinois, Pflegende in Wohnheimen in Connecticut, Hochschul-ArbeiterInnen in Harvard und an der Columbia University und Beschäftigte in einer Bäckerei in Portland.
Untergrabene Streiks
Die Gewerkschaftsführung versucht, das wachsende Durchsetzungsvermögen der Arbeiterklasse einzudämmen, und hat eine Reihe wichtiger Kämpfe verraten.
So waren beispielsweise 60.000 Lohnabhängige der US-amerikanischen Film- und Fernsehindustrie, die in der International Alliance of Theatrical Stage Employees (IATSE) organisiert sind, bereit, für den größten Streik in Hollywood seit dem Zweiten Weltkrieg die Arbeit niederzulegen.
Die Pandemie trieb die Gewinne von Unternehmen wie Netflix, Hulu, Disney und Amazon in schwindelerregende Höhen, da ihre Streaming-Dienste den Großteil der Medienunterhaltung für alle bereitstellten, die aufgrund von Schließungen zu Hause festsaßen.
Sogenannte „neue Medien“-Produktionen verfügen über Budgets, die mit denen großer Filme vergleichbar sind – 465 Millionen Dollar im Fall der neuen „Herr der Ringe“-Serie von Amazon Prime.
Doch Unternehmen wie Amazon haben bei der US-Regierung erfolgreich Lobbyarbeit betrieben, um das Recht zu erlangen, ArbeiterInnen billiger und mit weniger Schutzmaßnahmen einzustellen als „traditionelle“ Film- und Fernsehteams.
Hinzu kommt, dass die (seit den 1980er Jahren nicht mehr aktualisierten) Bestimmungen über die Mittagspause für Hollywood-ArbeiterInnen zwar alle sechs Stunden eine Stunde Pause vorschreiben, große Unternehmen aber einfach darauf bestehen können, dass der Dreh auf unbestimmte Zeit fortgesetzt wird.
Ein Mitglied eines Produktionsteams, das für die Arbeitervertretung More Perfect Union interviewt wurde, sagte:
„Ich habe dieses Jahr eine Serie mit 12 Millionen Dollar pro Folge für ein Unternehmen (Amazon) gedreht, dessen CEO gerade ins Weltall geflogen ist, und wir hatten 16-Stunden-Tage und keine Mittagspause, für eine sechsmonatige Serie.
ArbeiterInnen beschreiben, dass sie am Set einschlafen weil sie vor Hunger ohnmächtig werden. Ein Hollywood-Arbeiter hatte kürzlich einen tödlichen Autounfall wegen Übermüdung: der tödliche Preis um Jeff Bezos‘ Taschen zu füllen.
Doch trotz der grossen Unterstützung des Streiks durch die Basis wurde er am 18. Oktober in letzter Minute abgebrochen, nachdem sich die Gewerkschaftsführung von IATSE mit den Medienbaronen geeinigt hatten.
Die Einigung beinhaltet eine rückwirkende Lohnerhöhung von 3 Prozent – trotz eines jährlichen Inflationsindexes, der im Juli 2021 auf über 5 Prozent ansteigt. Die Einigung sieht offenbar auch eine tägliche Durchlaufzeit von 10 Stunden vor, was im Vergleich zu vielen anderen Branchen immer noch ein straffer Arbeitstag ist.
Und trotz der Einführung höherer Strafen für Unternehmen, die keine angemessenen Essenspausen gewähren, betrachten Unternehmen wie Disney und Amazon diese Geldstrafen als Teil der „Geschäftskosten“ bei langen Dreharbeiten.
Außerdem gilt die Regelung nur für 40 000 Beschäftigte der Film- und Fernsehbranche, so dass Zehntausende von ihnen außen vor bleiben.
Diese „Zugeständnisse“ sind Peanuts im Vergleich zu dem, was durch die geplante Mobilisierung der IATSE-Mitglieder hätte errungen werden können, und werden die Hollywood-Bonzen sicherlich aufatmen lassen.
Unterdessen haben 2.000 von der Northwest Carpenters Union organisierte ArbeiterInnen im September einen Streik begonnen.
Sie beklagten sich darüber, dass die Löhne nicht mit den Lebenshaltungskosten Schritt gehalten haben, während 200 Millionen Dollar aus ihren Pensionsfonds verloren gegangen sind – und das, obwohl in den Jahren 2020/21 der größte Bauboom in der Geschichte der Region Seattle und des westlichen Washington State bevorsteht.
Mehrfach versuchten die Gewerkschaftsbürokraten, den Streik vorzeitig zu beenden, indem sie lächerliche Abmachungen mit den Bossen aushandelten und den Streik absichtlich sabotierten. Dies sorgte für Empörung unter der Belegschaft.
Art Francisco, Vorsitzender der radikalen Peter J. McGuire Group, behauptete, die Gewerkschaftsführer hätten leere Baustellen als Streikposten ausgewählt und sich geweigert, einen Streikposten auf dem Microsoft-Campus im Westen von Redmond zuzulassen, dessen Sanierung den größten Bauauftrag an der Westküste darstellt.
Dies führte offenbar zu einem „verrückten Schreiduell zwischen den [Gewerkschaftsmitgliedern, die an dem Microsoft-Projekt arbeiten] und der Führung“ auf einer Streikkundgebung, das beinahe in eine „körperliche Auseinandersetzung“ ausartete, bis die Führung schließlich einem Streikposten in Redmond zustimmte.
Trotz dieses Drucks von unten endete der dreiwöchige Streik mit einer knappen Abstimmung über das jüngste Angebot der Bosse, das eine Erhöhung der Löhne und Sozialleistungen um 10,02 Dollar pro Stunde über einen Zeitraum von drei Jahren vorsieht, nachdem die Beschäftigten die zuvor vorgeschlagenen Vertragsabschlüsse abgelehnt hatten.
Dies war zwar ein bemerkenswertes Zugeständnis, blieb aber weit hinter den Erwartungen Tausender Gewerkschaftsaktivisten zurück.
Wie Francisco kürzlich in einem Interview richtig feststellte, hat die US-Gewerkschaftsbürokratie die Massenorganisationen zunehmend „als Arbeitsvermittler und nicht als Gewerkschaft“ behandelt.
Die Führung sieht ihre Rolle darin, respektable Gespräche mit den Bossen unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu führen, um „für beide Seiten akzeptable“ Zugeständnisse zu erreichen. Sie haben den Klassenkampf zugunsten einer „Partnerschaft zwischen Bourgeosie und Arbeitern“ aufgegeben.
Seit der historischen Niederlage des PATCO-Flugstreiks in den 1980er Jahren durch die Reagan-Regierung – die einen massiven Schlag gegen das Vertrauen der Arbeiterbewegung an der Basis darstellte – dienten die Gewerkschaftsführer zunehmend als Joch für die organisierte Arbeiterklasse: Sie hielten sie in sicheren Bahnen für den Kapitalismus.
Dieser Prozess wurde durch die organische Krise des Kapitalismus im Jahr 2008 vertieft, nachdem die Gewerkschaftsführer die Arbeiterklasse davon abgehalten hatten, sich Kürzungen und Sparmaßnahmen zu widersetzen.
Die Gewerkschaftsbürokratie ist für ihren Dienst an der herrschenden Klasse belohnt worden. In den letzten Monaten wurde eine Reihe von UAW-Führern der Veruntreuung und der Annahme von Bestechungsgeldern von Fiat Chrysler, einem der größten Unternehmen der Branche, für schuldig befunden.
Der gewaltige Lehrerstreik 2018 in West Virginia, bei dem Zehntausende von Lehrkräften gegen ihre Gewerkschaftsspitzen radikal streikten, war jedoch ein Wendepunkt.
Dies war ein Wendepunkt und eine Inspiration für ArbeiterInnen in den gesamten USA. Es folgte ein Aufschwung der industriellen Aktivitäten, darunter ein großer Streik bei General Motors im Jahr 2019.
Die Pandemie hat diesen Trend eine Zeit lang unterbrochen, aber die US-Arbeiterbewegung beginnt nun, den Knoten der Geschichte zu lösen.
Konflikt zwischen Basis und Bürokratie
Die Auswirkungen der Coronakrise brachten die ArbeiterInnen der Basis zunehmend in Konflikt nicht nur mit den Bossen, sondern auch mit ihrer verräterischen Führung.
Die UAW-Führung hat wiederholt versucht, den Streik bei John Deere zu verhindern, indem sie mit den Bossen miserable Abmachungen getroffen hat. Dies stieß auf den erbitterten Widerstand der Basis.
Bei einer Versammlung der UAW-Ortsgruppe 838 in Waterloo, Iowa, druckten die Mitglieder ihre prägnante Antwort auf das letzte Verhandlungsangebot ihrer Gewerkschaft auf ihre T-Shirts: „Fuck No“. Ein Mitglied ergriff angeblich das Mikrofon und sagte, das Angebot sei nur dazu geeignet, „sich den Arsch abzuwischen“.
Später versuchte die Gewerkschaftsführung, den Streik in letzter Minute zu verhindern, indem sie um Mitternacht des Auslaufens des alten Vertrags (1. Oktober) einen Facebook-Post veröffentlichte, in dem sie eine Verlängerung der Verhandlungen ankündigte und die Mitglieder aufforderte, „morgen zur Arbeit zu erscheinen“.
Dies war ein offensichtlicher Versuch, den Streik zu vereiteln, der durch den Druck der Basis abgewehrt werden musste.
Ein Mitglied äußerte sich in einem Kommentar zu dem ursprünglichen Posting: Was ist mit dem ganzen „Wir streiken, wenn wir angegriffen werden“-Gedöns passiert? Was ist die Definition der Gewerkschaft von einem Angriff? Können wir Hemden mit der Aufschrift ‚Wir geben nach, wenn wir bedroht werden‘ bekommen?“
Dieser Konflikt zwischen der Gewerkschaftsführung und der Basis ist das Ergebnis jahrelanger Absprachen zwischen der UAW und den großen Kapitalisten der Automobilbranche, in deren Folge die Löhne und Arbeitsbedingungen immer weiter nach unten korrigiert wurden, insbesondere für die Neueinstellungen.
Die Basismitglieder, die das Verhalten ihrer Gewerkschaftsspitzen satt haben, drängen nun – organisiert in der Fraktion Unite All Workers for Democracy (UAWD) – auf ein direktes System mit einer Stimme pro Mitglied für die Wahlen zu den Führungsgremien der Gewerkschaft.
Wird ein solches System jedoch im Rahmen einer nationalen Gewerkschaftswahl eingeführt, so sind die etablierten Gewerkschaftsmitglieder aufgrund von Wahlkampfgeldern und Reisemöglichkeiten immer noch im Vorteil. Es gibt keine Abkürzungen, um die Kontrolle über die Gewerkschaft zurückzuerlangen, die Mitglieder müssen sich überall organisieren.
Bei den Teamstern, die in den 1990er Jahren das Prinzip „ein Mitglied, eine Stimme“ eingeführt haben, findet ebenfalls ein Kampf zwischen aufständischen neuen Schichten und der alten Bürokratie statt, die jeweils auf den Kandidatenlisten von Teamster United und Teamster Power für die Präsidentschaftswahlen der Gewerkschaft vertreten sind.
Die von Sean O’Brien, dem Vorsitzenden von Teamster United (oder „OZ“), angeführte Liste scheint bei den Mitgliedern bisher im Vorteil zu sein.
O’Brien erhält Auftrieb durch die Wut der Mitglieder auf den derzeitigen Präsidenten James Hoffa, der in den Verhandlungen mit UPS die Schaffung einer unteren Schicht von Aushilfsfahrern, den „Uber-Fahrern“, ermöglicht hat.
Hoffa hat sich auch stets geweigert, die Teamster-Beschäftigten in einen Arbeitskampf zu führen, und stattdessen Hinterzimmerabsprachen mit den Bossen bevorzugt.
Wie OZ-Organisator Ken Paff erklärt: „Wir wollen eine Gewerkschaft, die ihren Mitgliedern nicht vorschreibt, was möglich ist. Wir wollen eine Gewerkschaft, die sagt: ‚Wenn die Mitglieder kämpfen wollen, stehen wir ihnen zur Seite‘.“
Ein Sieg von „OZ“ wäre sicherlich ein Schritt nach vorn für die amerikanische Arbeiterklasse. In den Reihen der US-amerikanischen Arbeiterbewegung ist eindeutig ein Kampfwille zu erkennen, und allmählich drängen radikalere Schichten in den Vordergrund, um die Vorherrschaft der alten Bürokratie herauszufordern.
Diese neue Führung wird in der nächsten Zeit auf die Probe gestellt werden. Am Ende wird ihr Erfolg davon abhängen, ob sie bereit sind, nicht nur die einzelnen Arbeitgeber, sondern das kapitalistische System selbst herauszufordern.
Das Bewusstsein verändert sich
Während der Pandemie wurden Millionen von ArbeiterInnen zu großen Opfern „für das nationale Interesse“ aufgerufen – vereint gegen den gemeinsamen Feind der Pandemie. Viele wurden vor die Wahl gestellt, ihre Gesundheit bei der Arbeit zu riskieren oder sich mit staatlichen Almosen durchzuschlagen.
Es kam zu schrecklichen Verlusten, und die Zahl der Todesopfer war höher als während der Spanischen Grippe in Amerika. Die Wut auf die faulen, gierigen Kapitalisten und ihre politischen Vertreter, die diese Katastrophe verursacht haben, ist groß.
Nun aber scheint die Pandemie abzuflauen, die Profite steigen, und dennoch gibt es vielerorts keine Atempause von dem Druck, der auf den Lohnabhängigen in dieser vermeintlichen Ausnahmesituation lastet.
Hinzu kommt, dass die Lebensbedingungen durch die steigende Inflation ständig verschlechtert werden. Tatsächlich liegen die Reallöhne immer noch unter dem Niveau vor der Pandemie und sind im vergangenen Jahr kontinuierlich gesunken.
Während die Zeitungen also von einem Aufschwung sprechen, spüren die arbeitenden Familien nichts davon. In Verbindung mit dem schamlosen und unübersehbaren Reichtum der Reichsten der Gesellschaft, die in den USA während der Pandemie ein Vermögen von 1,8 Milliarden Dollar angehäuft haben, beschließt eine wachsende Zahl von Amerikanern, dass es genug ist.
All dies spornt viele Schichten der Arbeiterklasse an, für den Erhalt ihrer Lebensbedingungen zu kämpfen und das zurückzufordern, was ihnen zusteht.
Ihre Zuversicht wird durch die Tatsache gestärkt, dass der Wirtschaftsboom zu einer allgemeinen Verknappung der Arbeitskräfte geführt hat, wie wir an anderer Stelle berichtet haben. Zum ersten Mal seit einer Generation haben die ArbeiterInnen das Gefühl, dass sie den Hebel in der Hand haben und nicht die Kapitalisten.
Wir sollten diese Entwicklungen nicht überbewerten. Der gewerkschaftliche Organisationsgrad in den USA ist nach wie vor historisch niedrig (obwohl er 2021 zum ersten Mal gestiegen ist, wenn auch nur geringfügig); und diese Streiks sind nur die Generalprobe für weitaus größere Auseinandersetzungen, die noch kommen werden.
Die Demokraten – die in der Vergangenheit Hand in Hand mit der Gewerkschaftsbürokratie gearbeitet haben, um die Lohnabhängigen vom offenen Kampf abzuhalten – wollen dieser radikalen Energie unbedingt zuvorkommen und sie für sich nutzen.
Joe Biden hat die Zeichen der Zeit erkannt und den “Protecting the Right to Organize Act” (oder PRO) Act vorgeschlagen. Dieses Gesetz würde die Möglichkeiten der ArbeiterInnen, sich gewerkschaftlich zu organisieren, verbessern und die gewerkschaftsfeindlichen „Right-to-Work“-Gesetze, die in 27 Bundesstaaten gelten, schwächen. Biden weiß, dass es unwahrscheinlich ist, dass dieses Gesetz vom US-Senat angenommen wird.
Aber selbst wenn dies der Fall sein sollte, ist es bei weitem nicht das, was nötig ist, da es bestehende gewerkschaftsfeindliche Gesetze wie Taft-Hartley nicht aufhebt. In Wirklichkeit zielt dieses Gesetz in erster Linie darauf ab, die wachsende Militanz der Arbeiterklasse in sichere Bahnen zu lenken, wo sie unter der Kontrolle der bestehenden Bürokratie, der Demokraten, des National Labor Relations Board und der Justiz steht.
Was die US-Arbeiterklasse braucht, sind ernsthafte Kampforganisationen mit einer Führung, die wirklich ihre Interessen vertritt. Dies würde es den Arbeitern ermöglichen, ihre unabhängige Macht auszuüben, diese verschiedenen Kämpfe zusammen zu führen und für große Errungenschaften wie einen an die Inflation gekoppelten Mindestlohn von 1.000 Dollar pro Woche, eine hochwertige allgemeine Gesundheitsversorgung und – was am wichtigsten ist – eine eigene politische Partei zu kämpfen.
Dafür gibt es sowohl in den Massenorganisationen als auch in der breiten Gesellschaft reichlich Appetit. In einer Gallup-Umfrage vom September 2020 gaben 65 Prozent der Befragten (und 77 Prozent der unter 34-Jährigen) an, dass sie Gewerkschaften befürworten, was nach 2003 und 1999 den höchsten Wert an öffentlicher Unterstützung in den letzten 53 Jahren darstellt.
Hinzu kommt, dass der Großteil der Lohnabhängigen unter 34 Jahren nur einen Bruchteil der gewerkschaftlich organisierten ArbeiterInnen ausmacht. Da die Lebensbedingungen immer mehr unter Druck geraten, werden immer mehr aus dieser Schicht in den Kampf ziehen. Viele dieser jungen, radikalen ArbeiterInnen werden in den Massenorganisationen ein Mittel sehen, um für ihre Interessen zu kämpfen.
Wenn sie erst einmal in den Gewerkschaften sind, werden sie ihren Widerstand gegen die feigen, kapitulierenden Gewerkschaftsführungen verstärken und dafür kämpfen, die Gewerkschaften von oben nach unten in echte Instrumente des Klassenkampfes zu verwandeln.
Alles in allem zeichnet sich ein neuer Anfang in der Geschichte der amerikanischen Arbeiterbewegung ab.
Joe Attard, IMT
19.10.2021