Gestern um 20 Uhr haben einer oder mehrere islamistische Terroristen mit Sturmgewehren das Feuer in Wien eröffnet. Bisher gibt es Berichte über 4 Tote und 17 Verletzte, 7 davon schwer. Ausgehend von der Seitenstettengasse gab es Angriffe und Schüsse an zumindest sechs verschiedenen Orten in der inneren Stadt. Einer der Angreifer wurde erschossen. Es wird vermutet, dass eine unbekannte Anzahl von Terroristen vorerst entkommen konnte. Das ist der erste große Terroranschlag in Österreich seit 45 Jahren. Eine Stellungnahme von Emanuel Tomaselli.
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In der Nacht waren durchgehend Polizeisirenen in der ganzen Stadt zu hören. Die Medien und die Regierung rufen dazu auf, Zuhause zu bleiben. Zahntausende harrten stundenlang in Bars, Kultureinrichtungen und Hotels aus, nachdem die Lage den ganzen Abend und bis in die Nacht hinein völlig chaotisch war.
Die Angreifer des gestrigen Tages repräsentieren nichts anderes als kalkulierte, konzentrierte Barbarei. Der Angriff begann in der Nähe des Stadttempels der Israelitischen Kultusgemeinde, wo eine Synagoge und ein Verwaltungsgebäude der jüdischen Gemeinschaft beheimatet sind. Aber die Gegend ist auch voll von Bars und Restaurants, die gestern, an einem warmen Abend und am Tag vor dem Lockdown, noch einmal voll waren.
Währenddessen ist Kanzler Kurz zum zweiten Mal innerhalb von 52 Stunden vor die Öffentlichkeit getreten. Er informierte uns: „Wir sind Opfer eines widerwärtigen Terrorangriffs in der Bundeshauptstadt geworden, der nach wie vor im Gang ist.“ Vor diesem Statement hatte der Grüne Präsident Van der Bellen auf Twitter die Österreicher dazu aufgerufen, die „Freiheit mit allen Mitteln zu verteidigen“.
Die Opposition gab auch ihre Erklärungen ab. Die NEOS-Vorsitzende Beate Meinl-Reisinger sprach davon, dass „unsere offene Gesellschaftsordnung stark ist, stark bleiben wird und wehrhaft solchen Angriffen gegenüber steht“. Währenddessen nutzt Innenminister Nehammer das Scheinwerferlicht, um weiter für die „nationale Einheit“ zu werben: „Wer einen von uns angreift, greift uns alle an“.
Zur selben Zeit, zu der diese barbarischen Taten stattfinden, ist die laissez-faire Politik der Regierung in Bezug auf die COVID-19 Pandemie endgültig gescheitert. Die Zahl der Infizierten in Österreich ist explodiert und liegt mittlerweile weit über den Zahlen des Frühjahrs. Das ist ein Resultat der Politik der „Eigenverantwortung“, die nichts anderes bedeutet, als dass die Regierung über den Sommer nicht getan hat, um mit der Pandemie fertig zu werden. Das Fehlen eines effektiven Systems des „contact tracing“ bedeutete, dass sich das Virus unentdeckt verbreiten konnte und jetzt überall auftritt. Es wurde kein zusätzliches Personal im Gesundheitsbereich oder an den Schulen eingestellt. Die öffentlichen Verkehrsmittel sind zum Bersten voll. In einigen Tagen wird die Kapazitätsgrenze der Spitäler erreicht sein, in Dornbirn ist das jetzt schon der Fall. Eine Situation droht, in der Spitäler Patienten abweisen müssen, weil die Kapazität fehlt.
Einen Schein auf die wahren Bedingungen warf das Interview mit Andreas Peter, Personalvertreter der Wiener Berufsrettung (KiV/UG):
„Das Aktuellste in Wien ist momentan der Ausnahmezustand, der herrscht, mit diesen Attentätern die da unterwegs sind in Wien, wir mit den Kapazitäten momentan wirklich an den Grenzen des abnormalen Wahnsinns sind und den normalen Bürger nicht mehr schützen können. […] wir haben Regeldienstplanungen, und die belaufen sich in 24-Stunden Rhythmen bis auf 1000 Einsätze, und wir haben da nicht mehr genug Kapazitäten, um vorhaltig vor Ort zu sein bei den einzelnen Bürgern, die an einem Schlaganfall oder sonstigen Erkrankungen leiden. Außerdem kommt noch dazu, dass wir mit COVID zu kämpfen haben, und jeder Patient hat eigentlich das Recht, hat schon damals Bürgermeister Zilk gesagt, jedem Wiener seine Rettung, jedem Wiener sein Spitalsbett. Und das schaffen wir nicht mehr. Die Stadt Wien ist gewachsen, aber die Wiener Rettung leider Gottes nicht mit, und jetzt haben wir auch noch solche Vorfälle, die müssen wir auch noch mittragen.“
Daraufhin sah sich der ORF genötigt, diese Aussage durch den Chef der Wiener Berufsrettung, Rainer Gottwald, relativieren zu lassen:
„Wir sind in der guten Situation, dass wir personell sehr gut ausgestattet sind, wir haben 16 Notärzte im Dienst, 50 Rettungswagen, werden unterstützt von allen Organisationen, die in Wien tätig sind, sogar 13 Rettungsfahrzeuge aus Niederösterreich sind eingetroffen. Ich habe zu meinem Bedauern schon zuerst gehört, dass es schon das erste Telefoninterview eines Personalvertreters der KIV der Berufsrettung gegeben hat, der aber leider weder im Dienst ist, noch im Einsatzstab ist, und daher weiß ich nicht woher er die Informationen hat. Jedenfalls sind wir personell derzeit sehr, sehr gut ausgestattet.“
Gleichzeitig sehen wir, wie die Ausbeutung in allen Bereichen gewaltig intensiviert wird. Die Industriellenvereinigung sprach es im Sommer klar aus: Die Pandemie habe gezeigt, dass man mit 54% der Arbeitskräfte man auf 80% der Produktivität kommen könne. Es wurde die gesetzliche Grundlage geschaffen, dass PflegerInnen auch mit positiven COVID-19 Test gezwungen werden können, zu arbeiten. LehrerInnen müssen ein und dieselbe Unterrichtsstunde bis zu vier Mal abhalten und FabrikarbeiterInnen werden massenweise entlassen und andernfalls bis zum Äußersten ausgepresst.
Die herrschende Klasse nutzt die Barbarei
Jetzt geht schon eine Welle des Rassismus durch die Boulevardmedien. Der Anschlag wird so von den Reaktionären so weit wie möglich dazu genutzt werden, um die Arbeiterklasse zu spalten, indem der Rassismus und die Angst vor „dem Feind“ geschürt werden. Islamismus und rechte Hetze sind zwei Seiten derselben, barbarischen Medaille.
Doch gleichzeitig präsentiert sich Sebastian Kurz als Stimme der Vernunft: Feind seien niemals die Angehörigen einer Religionsgemeinschaft, sondern Terroristen und Extremisten. Es sei kein Kampf zwischen Christen und Muslimen oder Österreichern und Migranten, sondern ein Kampf zwischen Zivilisation und Barbarei. Er ruft sogar die internationale Solidarität an – aber natürlich nicht die Solidarität der ArbeiterInnen, sondern der Regierenden: „Geeint durch Rechtsstaatlichkeit, unsere liberale Demokratie und unsere Grundwerte stehen wir Seite an Seite, um Friede und Sicherheit zu verteidigen. Und zwar nicht nur in Österreich, sondern auch in Europa und der ganzen Welt.“
Wir weisen die Krokodilstränen der Vertreter des faulenden kapitalistischen Systems zurück. Viele Staatsführer haben ihr Mitgefühl ausgedrückt. Doch Boris Johnson oder Donald Trump sprechen nicht für die britische oder US-amerikanische Arbeiterklasse. Ebenso wenig spricht der Kriegstreiber Emmanuel Macron für das französische Volk, wenn er der österreichischen Regierung eine besondere Beziehung anbietet. Wir dürfen die Politik und die unmenschlichen Positionen unserer Regierung nicht aus den Augen verlieren. Kanzler Kurz hat offen die Notwendigkeit argumentiert, dass MigrantInnen im Mittelmeer sterben. Er hat österreichische Polizeikräfte nach Griechenland geschickt, um Flüchtlinge „abzuwehren“, die über das Meer gekommen sind. Er ist auf dem Rücken der rassistischen Spaltung Kanzler geworden. Der barbarische Terror in unseren Städten ist der Preis, den wir, die Jugendlichen, ArbeiterInnen und PensionistInnen bezahlen müssen für die Kriege und Verbrechen der herrschenden Klasse.
Diese Heuchelei von Kanzler Kurz ist daher nichts anderes, die Instrumentalisierung des Terrorangriffs, indem die „nationalen Einheit“ ohne jegliche Opposition beschworen wird. So hält sich die Regierung den Rücken für die Zeit frei, wenn das Chaos im Gesundheitssystem und der Wirtschaft in den nächsten Wochen voll auf die ArbeiterInnen und Jugendlichen einprasselt.
Das ist eine Falle: Die Opposition, allen voran die SPÖ, hat die auf heute angesetzte Sondersitzung des Nationalrates zur Hacklerregelung (die besagt, dass man nach 45 Beitragsjahren in Pension gehen darf und die die Regierung abschaffen will), abgesagt. Doch Kurz oder die Regierung werden keine der angekündigten Kürzungen und sozialen Angriffe des Kapitals absagen oder verhindern – ganz im Gegenteil.
Der Kapitalismus ist der Nährboden für Terrorismus und Barbarei. Man sagt uns pausenlos, das Problem in der Gesellschaft seien die Flüchtlinge, die Ausländer und die Armen. Doch der reaktionäre Rassismus kann die Wirklichkeit nicht verbergen. Der Terroranschlag zeigt die globale Krise des Kapitalismus und macht die sich daraus ergebende Instabilität in Österreich sichtbar. Letzten Endes hat dieser Prozess revolutionäre Implikationen. Allen verschiedenen Erscheinungsformen der Barbarei des Kapitalismus zum Trotz verteidigen wir die Einheit der Arbeiterklasse und damit die Grundlage für den Kampf für den Sozialismus zu unseren Lebzeiten.