Lal Khan ist Pakistaner und kämpft in seiner Heimat seit Jahrzehnten unter sehr gefährlichen Bedingungen für die freie Entfaltung der Arbeiterbewegung und für die Perspektive einer sozialistischen Demokratie. In seinem Vortrag spann Lal einen weiten historischen Bogen von der britischen Kolonialzeit bis in die jüngste Gegenwart.
Im Zentrum der Pakistan-Wahrnehmung in Deutschland stand so einmal nicht die angebliche Islamisierung des Landes, sondern standen die historischen Wurzeln der gegenwärtigen Misere. Nicht einzelne Phänomene wolle er besprechen, sondern in die Tiefe gehen, d.h. analysieren, wie es zu der heutigen Situation gekommen sei. Sein zentrales Anliegen sei es, keine offizielle Geschichtsschreibung, sondern eine Darstellung der pakistanischen Geschichte „von unten“ zu präsentieren.
Bei subtropischen Temperaturen kamen am 11. Juli 45 Leute in Frankfurt/Main zusammen, um Lal Khans Buchpräsentation zu folgen. Die aktuelle Situation in Pakistan sei keinesfalls von der islamistischen Reaktion geprägt. Nur ein verschwindend geringer Teil der Bevölkerung des Landes folge dieser Ideologie. Viel gravierender sei der alltägliche Terror des Kapitalismus, der die bitter armen Menschen in letzter Zeit z.B. mit ständigen Preisschüben bei Grundnahrungsmitteln und mit lang anhaltenden Stromsperrungen in ganzen Städten und Landstrichen in Verzweiflung und nicht selten in den Selbstmord treibe. Gegen diese Barbarei, inklusive islamistischer Strömungen, könne nur eine schlagkräftig organisierte Arbeiterbewegung etwas bewirken. Deren Entfaltung stellen sich nicht nur einheimische Kapitalisten und Großgrundbesitzer, sondern auch ausländische Mächte entgegen. Als Beispiel für diese Repression führte Lal den Darmstädter Chemiekonzern Merck an, der unlängst streikende Arbeiter in seinen pakistanischen Betrieben entlassen hat. Lal forderte die deutsche Arbeiterbewegung und Linke dazu auf, in dieser Angelegenheit aktiv zu werden.
Innerhalb Pakistans seien Betriebe und Ländereien oftmals Privateigentum der Generäle, weshalb der Armee eine bedeutende Rolle im Wirtschaftsleben zukomme. Diese Situation sei durch eine lange Geschichte des britischen Imperialismus in der Region hervorgerufen worden. So habe es vor der Kolonialzeit keinen Großgrundbesitz gegeben. Diese Eigentumsverhältnisse seien vielmehr durch die Briten geschaffen worden, um eine loyale einheimische Oberschicht zu errichten, welche die Menschen zudem effektiv unter ihrer Knute halten konnte. Die Pakistanische Revolution von 1968/69 habe jedoch gezeigt, wie schnell Elitenherrschaft und repressiver Apparat von der Bühne der Geschichte gefegt werden könnten. Das Fehlen einer verantwortlich handelnden Führung habe jedoch den Erfolg auch dieser Revolution verhindert. Die herrschende Klasse und der Imperialismus reagierten mit einer Stärkung der Macht der Generäle bzw. mit der Errichtung einer Militärdiktatur.
Historisch gewachsen, und eng mit der militaristischen Degeneration des Staatsapparats verknüpft, sei auch die Barbarei der in Pakistan zwar randständigen, aber brutal agierenden Strömung des islamistischen Terrorismus. Nach der afghanischen Revolution im Jahr 1978 habe der US-Imperialismus die islamistische Reaktion in der gesamten Region entfacht. Wie heutzutage im Rahmen des sogenannten „Krieges gegen den Terrorismus“ habe die CIA in den 1980er-Jahren den pakistanischen Militärstaat dazu benutzt, Waffen, Material und Informationen mit seinen Verbündeten in Afghanistan insbesondere über die grenzübergreifenden paschtunischen Landstriche abzuwickeln. Seit diesen Tagen seien große Teile des pakistanischen Staatsapparates eng mit den Islamisten beiderseits der „Grenze“ verbandelt. Damals wie heute verdienten korrupte pakistanische Staatsbedienstete und sogar ganze Staatsorgane sehr einträglich an diesem Truppen-, Material- und Informationstransit. Enorme Summen an Geld, bestimmt für den angeblichen „Kampf gegen den Terror“, finanzierten auf diese Weise tatsächlich eine abgezockte staatliche Infrastruktur, die sich seit Jahrzehnten aufgrund der politischen Rolle der Islamisten in der Region am Leben hält.
Das erklärt, warum islamistische Tendenzen in der pakistanischen Öffentlichkeit und in der Wahrnehmung des Landes in der Welt eine große Rolle spielen können, obwohl sie in der pakistanischen Bevölkerung kaum Fuß fassen können. Und es wird deutlich, warum es eine gefährliche Illusion ist zu glauben, dass ein Ausweg aus der Misere des Landes von irgendwelchen Sektoren des Staatsapparats ausgehen könnte.
So unterschiedlich ihre Interessen untereinander auch sein mögen – Al-Qaida, Taliban, imperialistische Akteure, die einheimische Elite und ihr Staatsapparat teilen einen reaktionären Standpunkt gegen die Interessen und gegen die Befreiung der ausgebeuteten Massen in der ganzen Region.
Nur die organisierte Arbeiterbewegung, koordiniert durch eine verantwortliche Führung ihrer selbst, ist dazu in der Lage, Armut, Ausbeutung, staatlicher Willkür und islamistischer Reaktion ein Ende zu bereiten. Christoph Mürdter von DIE LINKE Wiesbaden, Samina Khan von DIE LINKE Offenbach und Moazzam Kazmi, Herausgeber der marxistischen Website www.chingaree.com sowie Abdul Qados Vorsitzender des CHINGAREE FORUM Deutschland betonten die Wichtigkeit der Erfahrungen sozialer Kämpfe in anderen Ländern für die Veränderung der politischen Situation hierzulande, plädierten gemeinsam mit Lal für den sofortigen Abzug der imperialistischen Armeen aus Afghanistan und bekräftigten die Absicht, das Bewusstsein für die gemeinsamen Interessen der Ausgebeuteten hier wie dort durch konkrete Solidaritätsarbeit zu verstärken.
Lal Khan 2009: Pakistan’s Other Story. The 1968-69 Revolution, introduction “Pakistan: The Revolution Betrayed” by Alan Woods, Delhi: Aakar Books (456 S.)
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Source: Der Funke (Germany)
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