Lassen wir uns noch mal kurz die wichtigsten Ereignisse in Italien in den letzten beiden Jahren in Erinnerung rufen.
Im Juni 2001 kam es zu einer Spaltung zwischen den drei größten Metallarbeitergewerkschaften in der Frage des nationalen Kollektivvertrags (in Italien gibt es drei große Gewerkschaftsdachverbände, die CGIL, die CISL und die UIL. Traditionell ist die CGIL eng mit den Linksparteien verbunden. Jeder dieser Dachverbände hat eine eigene Metallarbeiter-, Chemiearbeitergewerkschaft usw. Die Metallarbeitergewerkschaft der CGIL heißt FIOM-CGIL und organisiert den Großteil der MetallarbeiterInnen. Anm. des Autors).
Im Juni 2001 weigerte sich unter dem Druck der Basis den Kollektivvertrag zu unterschreiben und rief einen landesweiten eintägigen Streik aus, der 250.000 ArbeiterInnen auf die Straße brachte.
In der Folge kam es zu den Massenmobilisierungen in Genua gegen den G8-Gipfel und die Massendemos gegen den Krieg in Afghanistan.
2002 erlebten wir eine Explosion an Streiks gegen die Konterreform bei der Arbeitsgesetzgebung, einschließlich zwei eintägigen Generalstreiks (16. April und 18. Oktober) sowie einer Massendemo in Rom am 23. März, zu der die CGIL aufgerufen hatte und an der rund 2 Millionen ArbeiterInnen teilnahmen.
Im Juli gelang es der Regierung die Gewerkschaften zu spalten und schloß mit der CISL und der UIL ein Abkommen ab, die in der Frage des zentralen Konfliktpunkts, nämlich dem Artikel 18 des Arbeiterstatus, der ArbeiterInnen vor ungerechten individuellen Kündigungen schützt, eine partielle Verschlechterung akzeptierten. Die CGIL weigerte sich dieses Abkommen zu unterzeichnen und rief zu einem zweiten eintägigen Generalstreik am 18. Oktober auf.
Der Herbst 2002 war gekennzeichnet durch den bitteren Kampf der FIAT-ArbeiterInnen gegen die Entlassung von 8.000 KollegInnen und die drohende Schließung von zwei Fabriken. Im Dezember schloß FIAT ein Abkommen mit der Regierung sowie mit CISL und UIL ab, das einmal mehr nicht die Unterstützung der CGIL fand. Jedoch weigerte sich die Spitze der FIOM-CGIL diesem Arbeitskampf eine klare Stoßrichtung zu geben und ließ im entscheidenden Moment die FIAT-ArbeiterInnen alleine. Das war eine Niederlage, jedoch keine entscheidende, auch wenn sie das Selbstvertrauen der Unternehmer und der Gewerkschaften (CISL, UIL), die bereit sind, mit der Rechtsregierung von Berlusconi zu kooperieren, hob.
Zwischen November letzten Jahres (dem ESF in Florenz) und diesem April wurden im ganzen Land die Straßen einmal mehr von der Antikriegsbewegung mit Tausenden Demos, Straßen- und Schienenblockaden gefüllt. Höhepunkt war eine Demo in Rom am 15. Februar mit rund 2 Millionen TeilnehmerInnen.
Diese zweijährige Periode war außerdem gekennzeichnet von einer Vielzahl anderer Mobilisierungen, beginnend bei jenen der ArbeitsmigrantInnen und jener der SchülerInnen und StudentInnen bis zu den Massenprotesten gegen die Kooruption und Arroganz der Clique um Ministerpräsident Berlusconi usw.
Diese Massenmobilisierungen waren ein klarer Ausdruck dafür, dass nach einer Periode von 20 Jahren, die geprägt war durch eine Vielzahl von Rückschlägen und Niederlagen, die Massen nun wiederum bereit sind (und zwar scheinbar unermüdlich) sich an Protesten zu beteiligen und auf die Straße zu gehen.
Nach nun zwei Jahren an Mobilisierungen haben wir aber einen sehr entscheidenden Punkt erreicht. Keine Massenbewegung kann unendlich andauern, wenn sie nicht zumindest in Teilbereichen erfolgreich ist. Keine Massenmobilisierung entwickelt sich geradlinig. Das ist umso korrekter wenn die Führung darin versagt, eine Strategie vorzugeben, die die Bewegung zum Sieg führen kann. Genau vor diesem Problem steht nun die italienische Arbeiterklasse und ganz speziell ihre Vorhut.
Das Problem der Führung
Wäre es nur am Willen der Massen gelegen, dann hätte die Regierung Berlusconi mehrmals gestürzt werden können. In mehreren Gelegenheiten hatte die Regierung bereits gewackelt. Doch die Spitzen der Massenorganisationen der Arbeiterklasse weigerten sich hartnäckig den Rücktritt der Regierung zu fordern. Sie wollten einfach nicht die Situation zuspitzen und eine entschiedene Konfrontation provozieren. Sie waren lediglich darauf aus, die Unzufriedenheit unter der Arbeiterschaft und den Druck von unten zu nutzen, um ihr eigenes Prestige und ihre Autorität unter den Massen wiederherzustellen. Diese Autorität war aufgrund der Politik der “Mitte-Links”-Koalition (von 1996-2001) schwer beschädigt gewesen, was in der Niederlage der Linken bei den Wahlen im Mai 2001 ihren Ausdruck fand. Die Gewerkschaftsführer hatten in der Tat loyal mit der “Mitte-Links”-Regierung kooperiert und die Bewegung gegen eine Reihe von Sozialabbaumaßnahmen und Angriffen zurück gehalten.
Die Führung der Rifondazione Comunista (PRC) hat bei all dem auch einen gewissen Teil der Verantwortung zu tragen. Als wir, die marxistische Opposition in der PRC, diese Fragen in parteiinternen Debatten aufwarfen, wandte die Parteiführung um Fausto Bertinotti ein, dass die Zeit noch nicht reif sei, um den Sturz der Regierung zu fordern. Ihm zufolge sei das Hauptziel dieser Massenbewegung die Fortführung der Mobilisierungen: “Das Ziel der Bewegung ist das Wachstum der Bewegung selbst.”
Wie auch immer, es muss hier festgehalten werden, dass die Hauptverantwortung auf den Schultern von Sergio Cofferati und der gesamten Führung der CGIL liegt. Als Cofferati als Generalsekretär der CGIL damit begann Streiks gegen die Regierungspolitik auszurufen herrschte ein allgemeines Gefühl der Erleichterung vor: endlich, so dachten viele ArbeiterInnen, hat die Gewerkschaftsführung einen neuen Kurs eingeschlagen, endlich hat sie verstanden, dass wir zurück kämpfen müssen.
In der Folge vertrauten die meisten ArbeiterInnen, einschließlich ihrer fortgeschrittensten Schichten, den BetriebsrätInnen, dieser Führung. Sie dachten, dass ihre Aufgabe darin besteht, auf den Ruf “von der Spitze” zu warten und dann zu mobilisieren, wenn sie dazu aufgerufen werden. Gleichzeitig herrschte ein allgemeines Gefühl vor, dass durch diese Massenmobilisierungen und dank Cofferati die Demokratische Linke (die DS, die stärkste linke Partei, die aus der Spaltung der alten KP hervorgegangen war) entweder ihre Politik ändern würde oder sich spalten würde. Die ArbeiterInnen fühlten, dass auf die rechte Fraktion, welche die DS kontrollierte, auf die eine oder andere Art und Weise in die Krise schlittern würde.
Die jüngsten Ereignisse haben jedoch gezeigt, dass die Lage viel komplizierter ist und dass die Aufgabe, die rechte Führung mit ihrer bürgerlichen Politik an der Spitze der Organisationen der Arbeiterbewegung zu besiegen, noch lange nicht erfüllt ist.
Nach zwei Jahren intensiver Klassenkämpfe erscheint es der Regierung und den Unternehmern, dass sie die größte Gefahr überstanden haben. Erst vor einer Woche kam es zu einer neuerlichen Spaltung zwischen den Metallarbeitergewerkschaften und einmal mehr konnten die Unternehmer ein separates Abkommen mit der FIM-CISL und der UILM-UIL abschließen. Dieses Abkommen ist bei weitem schlechter als jenes vom Juni 2001, da dieser Kollektivvertrag nicht nur die Löhne umfasst sondern auch Tür und Tor für weitere Verschlechterungen in Sachen Prekarisierung und Flexibilisierung der Arbeitsverhältnisse öffnet und somit zukünftige Angriffe auf die Rechte der ArbeiterInnen in den Betrieben erleichtert.
Die FIOM-CGIL organisierte für den 16. Mai einen eintägigen Streik. Es besteht kein Zweifel, dass in den Betrieben enormer Ärger und Verbitterung gegenüber der Politik der Unternehmer und der streikbrecherischen Gewerkschaftsführer vorherrschen. Diese Gefühle vermischen sich aber mit Misstrauen gegenüber den Führern der FIOM. Die ArbeiterInnen sind alles andere als überzeugt davon, dass die gegenwärtige Führung der FIOM diesen Kampf zum Sieg führen kann. Sie verstehen instinktiv, dass solch ein Kampf nur dann gewonnen werden kann, wenn er von der Arbeiterklasse ausdauernd und militant geführt wird.
Am 15. Juni findet ein Referendum über den Artikel 18 des Arbeiterstatus statt. Dies ist das Ergebnis einer Kampagne, die in erster Linie von der PRC im letzten Jahr organisiert worden war. 600.000 Unterschriften waren für eine Ausdehnung des Geltungsbereiches des Arbeiterstatuts auch auf Betriebe mit weniger als 15 Beschäftigten gesammelt worden.
Während die CGIL sich dafür entschieden hat, das Referendum (wenn auch nur halbherzig) zu unterstützen, ruft die Mehrheit der DS dazu auf, sich an diesem Referendum nicht zu beteiligen. Dazu muss man wissen, dass ein Referendum ein 50%-Quorum benötigt, um gültig zu sein. Das neue Element in dieser Situation ist, dass Cofferati die Position jener unterstützt, die zu einer Stimmenthaltung aufrufen. Dieser Entschluss bedeutet, dass er nach zwei Jahren des Konflikts nun eine Aussöhnung mit der Führung der DS anstrebt. Im Endeffekt verrät Cofferati damit seine bisherigen Positionen, als er verlautbaren ließ, dass die Rechte der ArbeiterInnen für alle gleich sein müssten). Diese Wendung von Seiten Cofferatis wird im linken Flügel der DS eine Krise provozieren. Dieser linke Flügel wird sich nun in verschiedene Richtungen aufspalten.
Eine neue Stufe
Über die letzten Jahre konnte sich die Rechtsregierung nur dank der Rolle der Führung der Organisationen der Arbeiterbewegung retten. Angesichts der neuen Entwicklungen hat die Regierung Berlusconi eine kleine Atempause gewonnen, doch die generelle Lage in Italien ist weiterhin auf allen Ebenen der Gesellschaft von Instabilität und Konflikt geprägt. Die Lehren der letzten beiden Jahre werden in zunehmendem Ausmaß den fortgeschrittensten ArbeiterInnen und Jugendlichen klar. Sie werden zu dem Schluss kommen, dass es nicht ausreicht sich an Kämpfen und Streiks zu beteiligen, auch wenn diese noch so groß sein mögen. Es ist notwendig ein tiefergehendes Verständnis der gesamten Situation zu bekommen. Die ArbeiterInnen müssen die Kontrolle über ihre eigenen Massenorganisationen bekommen. Und was am wichtigsten ist, die ArbeiterInnen müssen korrekte Methoden entwickeln, sich selbst organisieren und sie brauchen ein Programm.
In den letzten beiden Jahren erwachten Millionen Menschen - die meisten von ihnen sind noch sehr jung - und begannen sich am politischen Leben zu beteiligen. Sie schlossen sich der Massenbewegung an und zum ersten Mal in ihrem Leben erlebten sie die Stärke und das Potential der Massen und der kollektiven Aktion. Die nächste Stufe wird unvermeidlich in einer kritischen Beleuchtung der eigenen Erfahrungen sein. Es wird sich das Bedürfnis herausbilden, die Rolle der verschiedenen Strömungen und Organisationen in diesen Bewegungen verstehen zu wollen. Und es wird einen wachsenden Durst nach theoretischen Erklärungen der internationalen Entwicklungen wie auch des Klassenkampfes geben, an dem sie selbst sich zu beteiligen begonnen haben.
Dies ist eine ganz entscheidende Stufe in der Entwicklung der Kräfte des genuinen Marxismus, der eine große Zuhörerschaft unter den aktivsten und bewusstesten Schichten dieser Bewegungen bekommen kann und wird. Wir bereiten uns auf eine neue und unvermeidliche Welle des Klassenkampfs vor, die nicht mehr allzu fern ist.
Mailand, 19. Mai 2003.