Bei der spanischen Parlamentswahl am Sonntag, 28. April, wurde das rechte Lager geschlagen. Die Massen strömten in die Wahllokale. Das Ergebnis war eine Rekordwahlbeteiligung von 75,8 Prozent - neun Prozent mehr als bei der letzten Wahl 2016.
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Um eine Rechtsregierung zu verhindern, konnten zusätzlich zahlreiche Wähler mobilisiert werden. Landesweit erzielten die sozialdemokratische PSOE und das Linksbündnis Unidos Podemos 43 Prozent der Stimmen gegenüber 42,8 Prozent für die drei rechten Parteien (ein Vorsprung von 60.000 Stimmen). Wenn man die Stimmen der linken katalanischen Unabhängigkeitsparteien hinzuzählt, erreichte die Linke in Katalonien mit 65,5 Prozent ihren höchsten Stimmenanteil.
Der Urnengang zeigte eine starke Polarisierung zwischen Links und Rechts in der Gesellschaft. Im Wahlkampf ging es vor allem darum, die Bildung einer Regierung der rechten Parteien PP, Ciudadanos und der rechtsextremen Vox zu stoppen, die bereits in der Regionalwahl in Andalusien gewonnen hatten. Der Wahlkampf der PSOE war vor allem auf eine Gegenüberstellung von "Vergangenheit gegen Zukunft" oder "Das Spanien der Reaktion gegen das Spanien des Fortschritts" ausgerichtet. Dies führte zu einer hohen Wahlbeteiligung und Unterstützung für die linken Parteien und ist ein Ausdruck eines starken Klassenbewusstseins in der spanischen Arbeiterklasse, welche die Gefahr einer Rechtsregierung sah und eine mögliche Beteiligung der extremen Rechten verhindern wollte.
Die Folge ist der Wahlsieg der PSOE (Sozialistische Arbeiterpartei). Die Sozialisten gewannen 28,7 Prozent der Stimmen und 123 Sitze im Parlament. Trotz eines starken Anstiegs von ursprünglich 85 Sitzen, die die PSOE 2016 gewann, reicht es noch lange nicht für eine Regierungsmehrheit im Parlament. Die Stimme der PSOE zu geben wurde als der beste Weg gesehen, um klare Kante gegen rechts zu zeigen, was auch zu Stimmenverlusten für die linke Unidas Podemos (UP) führte.
Krachender Verlierer PP
Im Vergleich zu früheren Wahlen ist dies das schlechteste Ergebis aller Zeiten für die führende rechte und konservative Partei PP (Partido Popular). Sie erreichte nur einen Stimmenanteil von 16,7 Prozent und 66 Sitze. Dies ist ein starker Verlust gegenüber den 137 Sitzen bei der Parlamentswahl 2016, als Mariano Rajoy Ministerpräsident wurde. Über 40 Jahre war die PP die führende Kraft im rechten Lager in Spanien. Sie fängt aber nun an zu schwächeln. Zum Beispiel im Baskenland sendet die Partei keinen Abgeordneten mehr ins Parlament und in Katalonien verlor sie fünf Abgeordnete, während nur noch einer übrig blieb.
Nachdem im Juni letzten Jahres Rajoy durch ein Misstrauensvotum gestürtzt wurde und die PP aus der Regierung rausflog, übernahm ein "frisches Gesicht", der junge Pablo Casado, die Parteiführung. Unter Casado ging die PP stark nach rechts, um eine Wählerwanderung in Richtung rechtsliberale Ciudadanos und rechtextreme Vox zu stoppen. Letzendlich hat diese Strategie vor allem Vox gestärkt.
Vox gewinnt an Boden
Wo die PP verlor, gewann Vox. Vox erreichte 10,2 Prozent der Stimmen und 24 Sitze im Parlament. Dies ist ein beachtlicher Anstieg gegenüber den ursprünglich unbedeutenden 0,2 Prozent, die die Partei bei der Wahl 2016 gewann. Vox wurde vor sechs Jahren gegründet und ist die erste offen rechtsextreme Partei seit dem Ende der Franco-Dikatur 1975. Vox gibt sich als Befürworter des Stierkampfes, als Gegener von Migration und Frauenrechten und als Anti-Establishment-Partei aus, repräsentiert die reaktionärsten Teile der spanischen Gesellschaft und hat vor allem Rückhalt in ländlichen Regionen und unter ehemaligen PP-Wählern in besser gestellten Gegenden.
Ein Beispiel: Im wohlhabenden Madrider Stadtbezirk Salamanca waren die Rechtsparteien die Wahlsieger und erreichten in der Summe ein Ergebnis von 71 Prozent. Etwas weniger als 2016 mit 75 Prozent. Vox war hier Nummer drei mit einem Stimmenanteil von 17,8 Prozent und damit weit über dem landesweiten Durchschnitt von 10 Prozent. Im Madrider Stadtbezirk Puente Vallecas, einem klassischen Arbeiterviertel, sieht die Situation anders aus: PSOE und UP waren hier die stärksten Parteien und gewannen in der Summe 63 Prozent. Vox blieb hier mit nur 8 Prozent der Stimmen unter dem nationalen Ergebnis.
Bei den Regionalwahlen in Andalusien im Dezember letzten Jahres sorgte Vox mit einem Ergebnis von 400.000 Stimmen für Wirbel. Hier handelte es sich um die größte Stimmenenthaltung in dieser Region seit 1990 (die Wahlbeiligung lag bei 58 Prozent), was zu Verlusten für die linken Parteien führte.
Meinungsumfragen sahen Vox bei 11 bis 13 Prozent bei der Parlamentswahl. In Andalusien gewann Vox über 600.000 Stimmen und einen Anteil von 13,38 Prozent. Als Reaktion auf die Stimmengewinne von Vox stieg die Wahlbeteiligung in Andalusien auf 73,3 Prozent. Vox hatte erwartet, aufgrund des Erfolgs bei den Regionalwahlen auch jetzt besser abzuschneiden, wurde aber durch die Stimmen für die Linksparteien gebremst. Ciudadanos hatte ebenfalls Ambitionen, die PP zu überholen und die führende Partei des rechten Lagers in Spanien zu werden, erreichte aber nur 15,8 Prozent der Stimmen.
Verluste für Unidos Podemos
Auch das Linksbündnis UP (Unidos Podemos) hat bei der Wahl Unterstützung verloren. Es landete auf dem vierten Platz, hinter Ciudadanos und PP, mit mageren 14,3 Prozent und 42 Sitzen. Dies ist ein Verlust von sieben Prozentpunkten im Vergleich zu 2016, als die Partei noch 71 Sitze hatte. Die Stimmenverluste sind das Resultat einer verfehlten politischen Strategie. Im Juni letzten Jahres unterstützte UP das Vorhaben, die Rajoy-Regierung zu stürzen und PSOE-Chef Sánchez zum Ministerpräsidenten zu wählen. Sie hatten damals die Möglichkeit, Sánchez auf ein radikales Programm gegen Kürzungen und Konterreformen zu verpflichten. Dies wäre durch die Zusammenführung von parlamentarischem Druck und Mobilisierung auf den Straßen möglich gewesen. Jedoch haben sie sich der PSOE untergeordnet und keine wirklichen programmatischen Differenzen gezeigt, was zu Verlusten an der Wählerbasis führte.
In der Praxis spielten sie die kleine Violine für Sánchez. Die UP-Führer hatten ihre ehemalige radikale Rhetorik gemäßigt und ihr kämpferisches Auftreten reduziert. Zwar trat während des Wahlkampfes Pablo Iglesias (Chef von Podemos, siehe Foto) für eine linkere Politik ein, aber es war zu wenig und zu spät. Seine Handlungen in der letzten Periode passten nicht zu seiner Rhetorik. Schließlich wählten viele linke UP-Wähler nun die PSOE, was als sicherer Weg gesehen wurde, einen rechten Regierungswechsel zu verhindern.
Was nun?
Auch wenn die Sozialistische Partei gewann, ist ihr Vorsitzender Sánchez ein gemäßigter Sozialdemokrat. Bürgerliche Blätter wie die Finanicial Times (FT), The Economist und die New York Times lobten ihn für seine gemäßigten Positionen und seine Vorliebe für Kompromisse. Er könnte sich eine rechnerische Mehrheit im Parlament durch ein Bündnis mit Ciudadanos sichern, was die herrschende Klasse bevorzugt. Jedoch machte Ciudadanos-Chef Albert Rivera klar, dass er kein Bündnis mit den Sozialisten eingehen würde: sein Erfolg gegenüber der führenden rechten Partei würde schwere Kratzer bekommen, wenn er dies täte. Sánchez’ Anhänger machten am Wahlabend bei seiner Rede klar, dass sie keine Alianz mit der Rechten tolerieren würden. "Nicht mit Rivera!"-Rufe aus der Menge trafen auf das Lächeln des neuen Regierungschefs, der sagte, er würde aus der Option mit der Ciudadanos keine "Sperrzone" machen. Seine einzige Bedingung für eine Regierung sei ein Koalitionspartner, der "die Verfassung respektiert".
Interessanterweise waren weiter Parolen: “¡No pasarán!” (“Sie kommen nicht vorbei!”), eine antifaschistische Parole aus der Zeit des Kampfes um Madrid während des Spanischen Bürgerkriegs, und “¡Sí se puede!” (“Ja wir können!”), eine Podemos-Parole. Dies zeigt, dass die Stimmung unter den PSOE-Wählern weit aus radikaler ist als die politischen Positionen von Sánchez. Im Moment warten alle Parteien auf die Kommunal-, Regional-, und EU-Wahlen, die Ende Mai an einem Tag stattfinden, um zu sehen, wie sich die Wähler verhalten. Alle Gespräche über Regierungsbildung und Koalitionen werden bis dahin verschoben. Dessen ungeachtet ist eine erneute Rezession im Anmarsch und die PSOE wird noch mehr Austeritätsmaßnahmen durchführen, um die Interesssen der herrschenden Klasse zu sichern. Sánchez könnte einige kosmetischen Änderungen machen, um an die Linke zu appellieren, aber nichts, das die Vorgaben der EU und die Begrenzung der Neuverschuldung gefährdet.
In der kommenden Periode sind neue Wellen von Bewegungen auf der Straße gegen die Kürzungspolitik, die der Regierung Sánchez aufgezwungen wird, zu erwarten. Für dieses Szenarium braucht Podemos eine Strategie zu Mobilisierung auf den Straßen zu Themen wie Haushalt, Kürzung im Sozialbereich, Arbeitsgesetze, demokratische und Frauenrechte etc. Sie muss aus ihren Fehlern lernen und darf sich nicht als Mehrheitsbeschafferin der PSOE im Parlament unterordnen. Sie muss die PSOE unter Druck setzen und auf die Probe stellen, um zu zeigen, wer wirklich die Interessen der arbeitenden Klasse vertritt.