Nach
dem überwältigenden Ergebnis bei den Präsidentschaftswahlen im Dezember
(bei denen 7,3 Millionen Menschen, 63%, für ihn gestimmt hatten), hatte
Chávez darauf bestanden, dass dieser Wahlerfolg nicht ihm als Person,
sondern seinem sozialistischen Projekt gegolten hatte. Die
angekündigten Maßnahmen der vergangenen Tage senden nun ein klares und
eindeutiges Signal aus, wohin die Reise gehen soll.
Die
Zusammensetzung der neuen Regierung kann als ein Linksruck
charakterisiert werden. Zunächst einmal wurde Vize-Präsident José
Vicente Rangel ersetzt. Dieser hatte sich öffentlich gegen die
Enteignung des Golfplatzes von Caracas ausgesprochen und ausdrücklich
betont, dass die Regierung das Privateigentum respektiere. An seine
Stelle tritt Jorge Rodriguez, der allgemein als auf der Linken der
bolivarischen Bewegung eingeschätzt wird. Sein Vater, der den selben
Namen trug, war der historische Führer der Sozialistischen Liga der
1970er Jahre. Er war unter der Folter der Geheimpolizei zu Tode
gekommen.
Chávez betonte außerdem, dass “wir zum ersten Mal in
der Geschichte einen Minister von der Kommunistischen Partei haben“. Er
bezog sich damit auf David Velasquez, den neuen „Minister der
Volksmacht für Teilhabe und sozialer Entwicklung“. Venezuelas
Kommunistische Partei hat bisher keine führende Rolle in der
bolivarischen Revolution gespielt. Bevor Chávez von der Notwendigkeit
den Kapitalismus zu überwinden gesprochen und den Sozialismus in die
Diskussion gebracht hatte, hatte die KPV darauf bestanden, dass der
Sozialismus nicht auf der unmittelbaren Tagesordnung stünde und dass
die Aufgaben der Revolution zu diesem Zeitpunkt nur im Kampf gegen den
Imperialismus lägen. Sie hatte damit die alten verräterischen Ideen der
stalinistischen Zwei-Etappentheorie wiederholt. Die Partei war von
Chávez’ Drängen auf den Kampf für den Sozialismus regelrecht
überrumpelt worden und hatte sich in einer 180°-Wendung der neuen
Stoßrichtung angeschlossen. Sie reagierte damit aber nur auf äußere
Entwicklungen, anstatt sich selbst an die Spitze der Bewegung zu
stellen.
Unter den Ministern, die in der Regierung vertreten
sein werden, befindet sich auch der neue Arbeitsminister José Ramón
Rivero, den Chávez als „einen jungen Arbeiterführer“ bezeichnete. „Als
ich ihn anrief“, erzählte der Präsident, „sagte er zu mir: ‚Herr
Präsident, ich möchte ihnen etwas sagen, bevor es sie über andere
Kanäle erreicht: Ich bin ein Trotzkist’. Und ich erwiderte: ‚Nun, worin
liegt das Problem? Ich bin auch Trotzkist! Ich halte mich an Trotzkis
Position – jene der permanenten Revolution.’“
José Ramon
Rivero war Gewerkschaftsführer der staatlichen Aluminiumschmelze
Venalum im industriell geprägten Bundesstaat Bolívar gewesen, sowie
einer der Abgeordneten zur Nationalversammlung der Bolivarischen
Arbeiterfront FBT. In der Vergangenheit war die FBT von sehr moderaten
Elementen dominiert gewesen und hatte eine Kampagne gegen die linke UNT
gestartet. Man wird sehen, welche Haltung Rivero als Arbeitsminister
einnehmen wird. Er wird an seiner Position zur Frage der
Arbeiterselbstverwaltung, der Fabrikbesetzungen und der Verteidigung
von Arbeitnehmerrechten gemessen werden.
Die Tatsache, dass
sich Chávez selbst als Trotzkist bezeichnet, ist eine Widerspiegelung
seiner geistigen Entwicklung nach links und seiner wachsenden
persönlichen Radikalisierung. Zu Beginn der venezolanischen Revolution,
im Jahre 1998, hatte er sich noch offen für den „Dritten Weg“
ausgesprochen und noch nicht den Kapitalismus in Frage gestellt. Erst
im Januar 2005, als Venepal enteignet wurde, sagte er zum ersten Mal,
dass es „innerhalb der Grenzen des Kapitalismus keine Lösung der
Probleme der venezolanischen Massen gibt“ und dass die Revolution sich
Richtung „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ weiterentwickeln müsse.
Dieses Umdenken war das Ergebnis einer Reihe von Faktoren, sagte er
damals. Einerseits war es die Erfahrungen der bolivarischen Revolution
(als er versuchte einfache Reformen wie freien Bildungs- und
Gesundheitszugang für alle durchzusetzen und sich mit einem bewaffneten
Aufstand der kapitalistischen Klasse konfrontiert sah. Andererseits
hätten auch Lektüre und Diskussionen sein Denken weiterentwickelt.
Kurz bevor er sich als Sozialist bezeichnete, hatte er eine Ausgabe von
Trotzkis Buch “Permanente Revolution” bei einer Veranstaltung in Madrid
erworben, wo er vor ArbeiterInnen und Jugendlichen in Räumlichkeiten
der CCOO (kommunistisch geprägter spanischer Gewerkschaftsdachverband)
gesprochen hatte. Ganz offensichtlich wurde sein Interesse an den Ideen
Trotzkis geweckt, da diese für ein sozialistisches Ideal standen, das
sich unversöhnlich der stalinistischen Karikatur entgegenstellte.
Ungefähr zu dieser Zeit meinte er in einem Interview gegenüber Al
Jazeera, dass das, was in der Sowjetunion zusammengebrochen sei, kein
Sozialismus gewesen wäre. Das dortige System „hatte sich weit von den
ursprünglichen Zielen von Lenin und Trotzki wegentwickelt, besonders
nach Stalin.“
Dies war ein wichtiger Wendepunkt in der
Geschichte der bolivarischen Revolution. Die gesamte Gesellschaft
begann darüber zu diskutieren, was der Sozialismus sei und was er für
Venezuela bedeuten könnte. Die jüngsten Aussagen von Chávez sind ein
weiterer Meilenstein für die Revolution.
Chávez betonte, dass
die neuen Minister als “Minister der Volksmacht” von Montag bis
Mittwoch in ihrem Büro arbeiten sollten, während sie den Rest der Woche
“draußen auf der Straße ihre Arbeitspläne umsetzen sollen”.
“Nichts und niemand wird in der Lage sein, uns von diesem Weg in
Richtung bolivarischem Sozialismus abzubringen”, meinte er. Bei der
Einschwörungszeremonie erklärte er seine Absicht, die „Bolivarische
Sozialistische Republik von Venezuela“ zu errichten: „Ich schwöre dem
Volk und dem Vaterland, dass ich weder meinem Arm Ruhe, noch meiner
Seele einen Moment der Rast gönnen werde; dass ich meine Tage und
Nächte und mein ganzes Leben der Errichtung des venezolanischen
Sozialismus widmen werde, einem neuen politischen System, einem neuen
gesellschaftlichen System, einem neuen wirtschaftlichen System.“ Und er
endete mit: „Vaterland, Sozialismus oder Tod!“
Wie bei allen
anderen wichtigen Schritten vorwärts, die die bolivarische Revolution
in der Vergangenheit gemacht hat, reagiert Chávez auf den Druck der
revolutionären Massen und gibt ihm einen politischen Ausdruck, während
er gleichzeitig die Initiative ergreift und durch entschlossene
Vorschläge selbst den Prozess vorantreibt. Die Reaktion der
revolutionären Basis auf seine Ankündigungen vom Montag, den 8. Januar,
und im Besonderen auf die Verstaatlichung des
Telekommunikationsunternehmens CANTV und des Energieversorgers EDC war
enthusiastisch. GewerkschaftsaktivistInnen kontaktieren seither die
Führung der UNT und drücken ihre Unterstützung für diese Maßnahmen aus.
Die „Gewerkschaftsallianz“ bei SIDOR, dem in den 1990er Jahren
privatisierten Stahlwerk in Bolívar, hat bereits ein Statement
verabschiedet, in dem sie vom Präsidenten die Wiederverstaatlichung
fordert. Sie haben gleichzeitig klar gemacht, dass sie keine Rückkehr
wollen, als SIDOR in bloßem Staatsbesitz gewesen war. Sie verlangen
vielmehr die Einführung von Arbeitermanagement, wie es in der nahe
gelegenen Aluminiumfabrik ALCASA umgesetzt wird.
Der neue
Arbeitsminister Rivero hat bereits Treffen mit den
GewerkschaftsführerInnen jener Betriebe, die verstaatlicht werden
sollen, organisiert und mit ihnen über ihre zukünftige Rolle
diskutiert. Er sagte, dass es im neuen Ministerrat eine Diskussion
gegeben hätte, dahingehend, dass in den Betrieben Räte von
ArbeiterInnen geschaffen werden sollen – beginnend mit dem
Arbeitsministerium selbst.
Gleichzeitig – und auch das war bei
früheren Wendepunkten der Fall – arbeiten die Bürokratie und die
reformistischen Elemente innerhalb des Bolivarianismus (insbesondere in
den Führungskreisen) daran, den revolutionären Inhalt von Chávez’
Ankündigungen zu verwässern. Die angekündigten Verstaatlichungen hatten
unmittelbar derart heftige Kurseinbrüche an der Börse von Caracas
ausgelöst, dass der Handel ausgesetzt werden musste. Der neue
Finanzminister Rodrigo Cabezas beeilte sich zu erklären, dass „der
Verstaatlichungsprozess innerhalb des konstitutionellen Rahmen
durchgeführt wird, der unter anderem Enteignungen ausschließt.“ Dies im
Gegensatz zu den Aussagen Riveros, dem neuen Arbeitsminister, der die
JournalistInnen daran erinnerte, dass viele aktive und ehemalige
ArbeitnehmerInnen während der Privatisierungen Aktien erhalten hatten.
Diese halten nach seinen Angaben insgesamt 20% des Aktienkapitals. Er
meinte, dass die Regierung nach Mitteln und Wegen suche, diese kleinen
AktienbesitzerInnen zu schützen, nicht aber jene, „die die Aktien an
der New Yorker Börse oder sonst wo gekauft haben.“
Der Kampf
ist noch lange nicht vorbei. Es ist notwendig, dass die revolutionäre
Basis, und im Besonderen die revolutionären GewerkschafterInnen, auf
allen Ebenen die Initiative ergreift und die Ankündigungen mit Leben
füllt. Sie muss die Notwendigkeit der Verstaatlichung aller
Schlüsselbereiche der Wirtschaft betonen; die Notwendigkeit den
bürgerlichen Staat zu zerschlagen, ihn durch einen revolutionären Staat
auf der Grundlage von ArbeiterInnen- und Volksräten zu ersetzen sowie
die Vereinte Partei der Sozialistischen Revolution aufzubauen. Die
Revolutionär-marxistische Strömung (CMR) in Venezuela besteht auf der
Notwendigkeit, eine nationale ArbeiterInnenkonferenz einzuberufen, um
all diese Fragen und insbesondere die Rolle der Arbeiterklasse in
dieser neuen Phase der Revolution zu diskutieren. Eine solche Konferenz
müsste einen nationalen Aktionstag der Fabrikbesetzungen beschließen.
Dies hängt eng mit dem Kampf der ArbeitnehmerInnen von Sanitarios
Maracay zusammen, dem ersten Betrieb in Venezuela, der von der
Belegschaft besetzt worden ist und seither unter Arbeiterkontrolle
produziert und seine Produkte verkauft. Ein Aufruf sollte für eine
weitere landesweite Demonstration gestartet werden, um die Belegschaft
dieser Fabrik in ihrem Kampf für die Verstaatlichung unter
Arbeiterkontrolle zu unterstützen. Dies könnte zum Brennpunkt der
Aktivität der Arbeiterklasse in der neuen Phase der Revolution werden –
auf einer höheren Ebene noch als nach der Verstaatlichung von Venepal
im Jahre 2005.
Die kommenden Monate werden entscheidend für
die Zukunft der bolivarischen Revolution sein. Der Arbeiterklasse kommt
die Schlüsselrolle zu.