In den vergangenen Wochen wurde das Urlaubsparadies von heftigen Massenprotesten erschüttert. Das Regime kann trotz brutaler Repression die Bewegung nicht stoppen. Auslöser der Protestbewegung war der Selbstmord eines jungen Mannes Mitte Dezember, der trotz abgeschlossenem Studium seit fünf Jahren arbeitslos ist.
Als sein kleiner Obststand von den Behörden willkürlich geschlossen wurde, sah er keinen Ausweg mehr und verbrannte sich öffentlich. Andere Arbeitslose folgten seinem Beispiel. Die hohe Jugendarbeitslosigkeit macht Tunesien zu einem sozialen Pulverfass, das nun explodiert ist. Mittlerweile hat sich die Bewegung auf das ganze Land ausgeweitet. Bei Redaktionsschluss dürften bereits mindestens 23 Menschen von der Polizei getötet worden sein und es kam zu Massenverhaftungen, darunter auch der Vorsitzende der KP und der bekannte Rap-Sänger „El General“. Die Medien dürfen nicht mehr über die Proteste berichten, und das Internet wurde vom Regime gesperrt. Es gibt Berichte über Folterungen durch die Polizei. Mehrere Aktivisten wurden nachts verschleppt und sind seither verschwunden.
Die Demonstrationen, an denen sich Tausende im ganzen Land beteiligen, richten sich gegen das Regime von Zine El Abidine Ben Ali. Der Diktator kontrolliert das Land mit eiserner Faust seit über 23 Jahren. In einer Rede vom 28. Dezember beklagte er, dass “diese Unruhen der Reputation Tunesiens bei internationalen Investoren und Touristen schaden”. Mit brutaler Gewalt soll das offizielle Bild von einem stabilen Land aufrechterhalten werden.
Ursachen der Bewegung
Tunesien genießt seit langem die Unterstützung des Westens und galt als Hort der Stabilität in dieser Region. Der Tourismus ist die wichtigste Einnahmequelle des Landes. 7 Millionen Menschen verbringen hier ihren Urlaub. Das bringt 5,2 Mrd. $ pro Jahr. 350.000 Menschen sind in diesem Sektor beschäftigt.
Das Land befindet sich in einer schweren Wirtschaftskrise. Doch schon zuvor hatte das relativ hohe Wachstum keine positiven Auswirkungen auf den Lebensstandard der Menschen. Die Arbeitslosenrate liegt bei über 22% (das ist ein Plus von 9% in nur fünf Jahren). Die meisten Beschäftigungsverhältnisse sind prekär und zeitlich befristet. Der Mindestlohn liegt gerade mal bei 130 Euro/Monat. In den „freien Industriezonen“ werden aber selbst diese Hungerlöhne nicht eingehalten, um die Industrie wettbewerbsfähig zu halten. Die Krise in den EU-Ländern hat sich auch auf Tunesien sehr negativ ausgewirkt. Und dazu kommt noch die brutale Diktatur im Land, die keine demokratischen Freiheiten zulässt.
Die ArbeiterInnenklasse
Entscheidend für den weiteren Verlauf dieser Bewegung wird sein, ob die ArbeiterInnenklasse in organisierter Form sich den Protesten anschließt und den unterdrückten Schichten in der Gesellschaft eine Perspektive anzubieten hat. Einige Tage nach Ausbruch der Proteste kam es zu ersten Solidaritätsbekundungen durch die Gewerkschaften in Bizerte, Mahdia, Kairouan, und Jendouba. In den Industrievororten von Tunis und im Bergbaugebiet von Gafsa kam es zu Gewerkschaftsdemos. Es wird den Demonstranten Rechtsberatung angeboten und die Forderungen der Bewegung nach Freilassung der Gefangenen bzw. für eine Joboffensive unterstützt. In Sidi Bouzid, der Staat, von der die Bewegung ihren Ausgang nahm und wo die Polizei ganz besonders brutal vorging, kam es sogar zu einem regionalen Streik der Bildungsgewerkschaft für die Freilassung der Gefangenen.
Auch sahen wir eine Ausweitung der Bewegung auf die Schulen und Unis, wo es ebenfalls zu heftigen Zusammenstößen mit der Polizei kam. Seither hat das Regime die Schulen und Unis geschlossen.
Die Formen der Klassensolidarität sind von großer Bedeutung. Die Gewerkschaften müssen eine zentrale Rolle im Kampf gegen die Ausbeutung, Unterdrückung, Diktatur und Repression einnehmen. Ein landesweiter Generalstreik wäre der nächste wichtige Schritt.
Die Schwächen der Bewegung
Der Schlachtruf der Bewegung lautet: “Wir fürchten euch nicht mehr!” Diese jungen Arbeitslosen haben zum Ausdruck gebracht, dass sie nichts zu verlieren haben und die Gesellschaft verändern wollen. Die staatliche Repression konnte die Bewegung nicht unterdrücken, sondern führte nur zu ihrer Ausweitung.
Diese Proteste markieren insofern einen Wendepunkt in diesem Land. Das Regime wird nie wieder so fest im Sattel sitzen wie dies in den vergangenen Jahren der Fall war. Diese Bewegung entstand völlig spontan, was noch fehlt ist eine klare Perspektive und ein Programm. Die Massen wissen was sie nicht mehr wollen. Sie kämpfen gegen Arbeitslosigkeit, Armut und Unterdrückung. Aber sie wissen nicht, wie eine Alternative aussehen könnte.
Die UnterstützerInnen der International Marxist Tendeny (IMT) im arabischen Raum werden versuchen, Teile dieser Bewegung auf der Grundlage einer sozialistischen Perspektive zu organisieren. Ihre Ideen werden trotz Internetzensur bereits heute in Tunesien unter linken AktivistInnen diskutiert. Aus ihrer Sicht sollten die Linken und die ArbeiterInnen die Initiative zur Gründung von demokratisch gewählten Aktionskomitees in den Stadtvierteln, Fabriken, Schulen und Universitäten ergreifen. Solche Komitees könnten den Embryo von ArbeiterInnen- und Volksräten darstellen und sollten überregional vernetzt werden bzw. eine landesweite Koordination bilden.
Angesichts der staatlichen Repression muss die Bewegung die Verteidigung der Demonstrationen und der Gewerkschaftsbüros sowie der proletarischen Stadtviertel organisieren und Selbstverteidigungskomitees gründen, die von den Aktionskomitees politisch kontrolliert werden.
Die Gewerkschaften sollten eine Kampagne für einen Generalstreik gegen die Diktatur, gegen Ausbeutung und Unterdrückung beginnen.
Für ein Ende der Repression und für die Verfolgung der Verantwortlichen für gewaltsame Übergriffe durch die Polizei und vom Staat organisierte Banden. Volle demokratische Rechte: Streikrecht, Versammlungsrecht und Koalitionsrecht. Der Generalstreik braucht außerdem ein Programm, das Antworten auf die wichtigsten sozialen Fragen gibt, wie die sofortige Einführung eines Mindestlohns, von dem man auch leben kann. Für einen sofortigen Privatisierungsstopp und die Verstaatlichung aller Schlüsselbereiche der Wirtschaft unter ArbeiterInnenkontrolle. Nieder mit der Diktatur von Ben Ali und Aufbau eines demokratischen Regimes gestützt auf die demokratisch gewählten Aktionskomitees.
Außerdem muss die Bewegung versuchen das staatliche Repressionssystem lahm zu legen. Die einfachen Soldaten und Polizisten sollten ihre Waffen gegen die Herrschenden richten und sich mit der Bewegung solidarisieren.
Außerdem braucht die Bewegung eine internationalistische Perspektive. Schon jetzt sahen wir ähnliche Proteste gegen Preiserhöhungen im Nachbarland Algerien. Die internationale ArbeiterInnenbewegung sollte sich aktiv mit der Bewegung in Tunesien solidarisieren.
Rund um ein solches Programm gilt es in Tunesien eine starke marxistische Strömung aufzubauen. Nur mit einer revolutionären Massenpartei kann die Diktatur in die Knie gezwungen und ein sozialistisches Tunesien als Teil einer sozialistischen Föderation im Maghreb errichtet werden.
Der Artikel basiert auf Beiträgen von Marxy.com.
Source: Der Funke (Austria)