Ein brutaler Polizeiangriff gegen protestierende SchülerInnen in Valencia, die ihren Unmut über die Kürzungen im Bildungswesen und gegen die polizeiliche Repression kundtaten, hat in ganz Spanien eine Welle der Empörung ausgelöst. Ein Bericht mit Videos von unserer spanischen Schwesterzeitung Lucha de Clases.
Am Montag, den 20. Februar, wurden Dutzende SchülerInnen verhaftet, Hunderte mussten ihre Ausweise erfassen lassen und mehrere weitere Jugendliche und Umstehende wurden verletzt als die Polizei sie brutal daran hindern wollte zu demonstrieren. Die Schülerinnen und Schüler der IES Lluis Vives (12 bis 17 Jahre alt) protestierten gegen Kürzungen im Bildungsbereich, da viele Kindergärten, Grund- und weiterführende Schulen in Valencia nicht mehr über eine genügende Grundversorgung verfügen, ohne funktionierende Heizung, ohne die notwendigen Unterrichtsmaterialen und in manchen Fällen wurde sogar die Stromversorgung unterbrochen. Bereits letzte Woche, als sich die Betroffenen in einem friedlichen Protest vor ihrem Schulgebäude versammelten, wurden einige verletzt und die Polizei verhaftete Dutzende junge Leute.
Am Montag handelte es sich nur um den jüngsten Versuch der Gymnasiasten, ihr Recht auf friedliche Demonstrationen zu nutzen, um nicht nur gegen die Einsparungen im Bildungsbereich, sondern auch gegen die polizeiliche Brutalität zu protestieren und außerdem um die Freilassung von acht Schülern zu fordern, die bei den Protesten letzte Woche verhaftet wurden und sich noch immer in Polizeigewahrsam befinden.
Jedoch wird die Polizei in dieser Region durch den rechten Flügel der Volkpartei (PP) regiert, welche nicht bereit war die Demonstrierenden marschieren zu lassen. Sobald sie sich am frühen Nachmittag außerhalb des Gebäudes der IES Lluis Vives Schule zu sammeln begannen, wurden sie von Polizisten in Schutzkleidung, mit Schlagstöcken und Polizeifahrzeugen ausgestattet, angegriffen.
Dieser Ausschnitt des katalanischen Senders TV3 zeigt die wichtigsten Ereignisse:
Das harte Vorgehen des Polizei betraf nicht nur die SchülerInnen, sondern auch Dutzende von sich in der Nähe befindenden Personen, die das Verhalten der Polizisten kritisierten: „Ihr seid so mutig, ihr schlagt Kinder“ ("si que sou valents, que pegueu als xiquets").
Hier ein weiteres Video des brutalen Verhaltens der Polizei:
Der regionale Polizeichef, versuchte die Aktionen der Polizei zu verteidigen indem er die Jugendlichen als gewalttätig einstufte und sie in einer Pressekonferenz als „Feind“ bezeichnete. Auch der Politiker Fabra warf dem Großteil der Minderjährigen vor „gewalttätige Demonstrationen“ zu organisieren und warnte, dass diese dringend gestoppt werden müssten, bevor andere ihrem Beispiel folgen.
Die Bilder von verängstigten Teenagern haben im ganzen Land Empörung ausgelöst, weshalb Versammlungen, Kundgebungen und Demonstrationen in Städten, Schulen und Universitäten in ganz Spanien angekündigt wurden. Die Genossen von Lucha de Clases meinten, dass es notwendig wäre einen landesweiten Streik von Gewerkschaften und SchülerInnen- und Studierendenorganisationen auszurufen, als direkte Reaktion auf die polizeiliche Gewalt. Sollten die Gewerkschaften zu solch einer Aktion nicht bereit sein, müsse die Initiative durch die breite Masse ergriffen werden, indem an Pflicht- und Höheren Schulen, sowie an Universitäten zu Vollversammlungen und Demonstrationen aufgerufen wird.
In Dutzenden von Städten im ganzen Land gab es am Dienstag Abend bereits Demonstrationen gegen die Polizeigewalt, die größten Protestmärsche fanden in Madrid, Barcelona, Malaga, Granada und in Palma de Mallorca statt. In Valencia fand am Mittwoch Abend eine Demonstration gegen Kürzungen im Bildungsbereich und gegen die Polizeirepression statt. Dabei gingen über 10.000 SchülerInnen, Eltern und LehrerInnen gemeinsam auf die Straße.
Die Angestellten der TV- und Radio-Station Canal9 hielten eine Kundgebung im Unternehmensgebäude ab und verlasen einen Brief an den Vorstand, indem sie die Medienmanipulation und falsche Berichterstattung über die Polizeigewalt in Valencia verurteilen.
Verschuldung und Korruption
Valencia ist eine jener spanischen Regionen, die von der Finanzkrise und den massiven Sparmaßnahmen am meisten betroffen ist. Die regionale Regierung ist de facto bankrott, mit Restschulden von rund 62 Milliarden Euro, und konnte nur durch einen speziellen Notfallkredit der Regierung in Madrid bis auf Weiteres gerettet werden.
Im Januar kündigte die Landesregierung Kürzungen in Höhe von 1 Mrd. Euro an. Davon entfielen 400 Millionen Euro auf Kürzungen im Gesundheitswesen, 258 Millionen Euro auf Kürzungen bei den Löhnen der Bediensteten im öffentlichen Sektor und 238 Millionen Euro auf erhöhte Steuern.
Die regionale Verwaltung schuldet jeder Schule in Valencia das Geld der laufenden Kosten für drei Quartale, ein Betrag von rund 50 Millionen Euro. Der Schulleiter eines Gymnasiums in der Stadt Elx (Elche), beschrieb die Bedeutung dieser Situation bereits im Januar: „Unser Bankkonto schreibt rote Zahlen, wir sind drei Stromrechnungen im Verzug, den Wartungsvertrag für Aufzüge und Feuerlöscher mussten wir stornieren und wenn uns das Öl erst ausgegangen ist, können wir auch nicht mehr heizen.“ Ein Gymnasium in der Stadt Valencia ist auf Grund von nicht möglichen Zahlungen nicht mehr an die Stromversorgung angeschlossen und Dutzende von Schulen hatten den Großteils des Winters nicht die Möglichkeit zu heizen, so dass die Mädchen und Burschen mit Mänteln, Schals, Mützen und sogar Decken in den Klassenzimmern sitzen müssen.
Diese kritische Situation führte bereits am 21. Januar zu massiven Protesten gegen die Kürzungen im Bildungsbereich, an denen sich ca. 120.000 SchülerInnen, LehrerInnen und Eltern in Valencia und Alacant (Alicante) beteiligten.
Die Situation wird auch noch dadurch verschärft, dass in einem langwierigen Gerichtsverfahren gegen führende Mitglieder der Volkspartei, darunter auch der ehemalige regionale Präsident, wegen einer ganzen Serie von Korruptionsaffären, alle Angeklagten freigesprochen wurden. Einer der Gründe warum die Verschuldung in Valencia am Schlimmsten ist, ist genau die irrationale Politik der aufeinanderfolgenden volksparteilichen Regierungen, die durch tausende von sichtbaren und unsichtbaren Fäden mit lokalen Geschäftsleuten, Immobilienspekulanten und anderen zwielichtigen Gestalten verbunden sind. Das Symbol dieser fatalen Politik, ist der Flughafen in Castelló, der vor fast einem Jahr eingeweiht wurde, realisiert mit 150 Millionen Euro aus dem regionalen Budget, auf dem allerdings bisher kein einzigen Flugzeug gestartet oder gelandet ist, da ein Konstruktionsfehler auf einem zentralen Teil der Landebahn eine Neuerung erforderlich macht.
Die Situation in Valencia unterscheidet sich allerdings nicht so sehr vom Geschehen in den anderen regionalen Regierungen und lokalen Behörden in ganz Spanien, wo massive Sparmaßnahmen in den sozialen Grundleistungen wie Gesundheitsversorgung und Bildung vorgenommen werden, die diese Bereiche massiv beeinträchtigen. Valencia steckt wahrscheinlich ein wenig tiefer in diesem Sumpf, da die Krise dort weiter fortgeschritten ist, doch Katalonien, zum Beispiel, liegt nur knapp dahinter.
Die massiven Demonstrationen gegen die neuen Arbeitsmarktreformen am 19. Februar, sind nur ein Indiz für eine soziale Explosion die sich in Spanien bald ereignen wird. In 57 verschiedenen Gewerkschaftsdemonstrationen im ganzen Land gingen zwei Millionen Menschen auf die Straße. Sie brachten dabei ihre Ablehnung gegen die „Reform“ des Ministerpräsidenten Rajoy und der spanischen Regierung zum Ausdruck, die eine völlige Flexibilisierung des Arbeitsmarktes und eine Aufweichung der Arbeitsbedingungen und Rechte der ArbeiterInnen bedeuten würde. Zum Beispiel soll die Abfertigung gekürzt werden, die Probemonate, in denen die ArbeiterInnen quasi keine Rechte haben, sollen verlängert werden, und die Gewerkschaften sollen in Zukunft bei temporären Kündigungen kein Mitspracherecht mehr haben. Außerdem dürfen laut dieser Konterreform Unternehmen, deren Profite drei Quartale hintereinander sinken und die einen tatsächlichen oder auch nur prognostizierten Verlust verbuchen müssen, ArbeiterInnen ohne Angabe von Gründen legal kündigen. Diese Maßnahme würde effektiv auf die meisten spanischen Betriebe zutreffen. Noch dazu werden die bundesweiten Kollektivverträge aufgeweicht. Unternehmern soll es in Zukunft leichter gemacht werden einseitig die Arbeitszeiten, Arbeitsbedingungen, den Arbeitsort, die Lohnstruktur, usw. zu ändern.
Durch Lohnkürzungen und Flexibilisierungen soll der spanische Kapitalismus in der Wirtschaftskrise wieder wettbewerbsfähig gemacht werden. Es sind ähnliche Maßnahmen, die bereits in Griechenland implementiert wurden und die in Italien und Portugal gerade eingeführt werden.
Wenn die massiven Sparmaßnahmen, Rekordarbeitslosigkeit, Korruptionsskandale (die PolitikerInnen beider Großparteien und nun auch den Schwiegersohn des Königs betreffen), der Richter dem die Lizenz entzogen wurde weil er Verbrechen aus der Zeit des Franco-Regimes aufklären wollte und die jetzigen Ausschreitungen der Polizei verbunden mit gewalttätigen Übergriffen auf Minderjährige zusammengezählt werden, ergibt sich in Spanien eine explosive Mischung.
Neben den Videos oben, lohnt auch ein Blick auf diese Bildergalerie.
Source: Der Funke (Austria)